Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
sprach Albekizan weiter. »Dieses Verbrechen wird nicht ungesühnt bleiben. Es gibt keinen Winkel auf der Erde, in dem die Schuldigen sich verstecken könnten.«
Tanthia atmete langsam ein. »Ist das alles, was du als Trost dazu zu sagen hast?«
»Was gibt es mehr zu sagen?«, fragte er. »Die Ereignisse der letzten Nacht verlangen Rache.«
»Über Rache zu sprechen ist nicht das Gleiche wie über Trauer zu sprechen«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich höre keinen Schmerz in deiner Stimme. Wo sind deine Tränen? Begleite mich, mein König. Begleite mich zum Fackelplatz. Bodiel liegt dort aufgebahrt. Sei an meiner Seite, während ich zu ihm gehe.«
»Nein«, sagte Albekizan. Der Blick seiner Augen war auf das uralte Felsgestein unter seinen Klauen gerichtet, das von seinen unzählbaren Ahnen glattgeschliffen worden war. Konnte Tanthia die Schwere dieses Ortes nicht spüren? Hier, im Herzen der Geschichte, gab es keinen Raum für Schwäche. »Noch nicht. Vielleicht werde ich bei Einbruch der Nacht hingehen. Aber ich habe meinen Sohn bereits tot gesehen. Ich habe seinen kalten Leichnam gehalten. Erzähl mir nichts über die richtige Art zu trauern.«
»Du klingst, als wärst du wütend auf mich«, erwiderte Tanthia.
»Du hörst, was du hören willst«, sagte Albekizan und wandte sich ab. »Es tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Ich werde jetzt gehen.«
»Bitte«, sagte Tanthia. »Bleib bei mir. Teile die Bürde der Trauer mit mir.«
»Trauer kann jetzt keinen Vorrang haben«, entgegnete Albekizan, ohne sich umzudrehen. »Ich habe Kanst zu mir gerufen. Ich muss die Armeen bereitmachen. Je länger wir warten, desto mehr Zeit hat Bitterholz, seine üblen Taten weiter auf dieser Welt zu verrichten. Ich hoffe, du verstehst das.«
Tanthia antwortete nur mit Schluchzern. Albekizan seufzte und verließ die Kammer. In der Halle spürte er eine Anwesenheit und konnte hinter der nächsten Ecke ein Scharren auf Stein hören. Er atmete tief ein, erkannte einen vertrauten Geruch. Er wusste, wer ihm gefolgt war.
»Bander!«, rief er den Hauptmann der Palastwache zu sich.
Der Erddrache kam in der gleichen Zeit um die Ecke
geflitzt und hatte Haltung angenommen, in der Albekizan einmal mit den Augen zwinkern konnte.
»Herr«, sagte Bander. »Ich wollte nicht stören, aber …«
»Sind sie bereit?«, fragte Albekizan.
»Kanst ist eingetroffen, Herr«, sagte Bander. »Er wartet im Ratszimmer mit Metron und Zanzeroth.« Seine Stimme zitterte beim Sprechen. Das harte, schnabelförmige Gesicht der Erddrachen verriet wenig Hinweis auf ein Gefühl, aber Albekizan konnte einen Hauch Furcht in Banders Augen erkennen. »Was Vendevorex betrifft, Herr, setzen meine Wachen ihre Suche fort.«
Albekizan nickte. Das Versagen von Banders Wachen verärgerte ihn nicht. Vendevorex besaß die Macht, sich unsichtbar zu machen. Er würde nur gefunden werden, wenn er es wollte. »Fahrt mit der Suche fort. Der Zauberer ist wichtig bei meinen Plänen. Was ist mit dem anderen Befehl?«
Bander wirkte erleichtert. »Die Wachen sind in diesem Augenblick damit beschäftigt, die Menschen zusammenzutreiben, Herr.«
»Gut. Ich möchte, dass ihr Gestank von dieser Burg verschwindet …«
»Bitte …«
Tanthias Stimme unterbrach ihn. Albekizan drehte sich um und sah sie in der Tür der Kammer stehen. Die fedrigen Schuppen um ihre Augen waren dunkel von Tränen.
»Ich bitte dich«, sagte sie, und ihre Stimme klang heiser und schwach. »Geh mit mir zum Fackelplatz.«
Albekizan kniff missbilligend die Augen zusammen. »Ich betrachte diese Angelegenheit als abgeschlossen. Noch so
viele Tränen werden Bodiel nicht zurückbringen. Geh und warte beim Fackelplatz, bis die Zeremonie beginnt, wenn du das tun musst. Ich werde mich darum kümmern, mein Königreich zu retten.«
Bei seinen Worten brach Tanthia zusammen. Sämtliche Stärke war aus ihr gewichen.
»Du bist so kalt«, schluchzte sie. »So kalt. Die Steine in den Mauern sind wärmer als dein Herz.«
Albekizan wandte sich von seiner Gemahlin ab und stürmte davon; sein Kiefer mahlte vor Wut. Als er das Ende der Halle erreichte und sich umdrehte, um nach seiner gestürzten Königin zu sehen, stellte er fest, dass ihre karmesinroten Flügel über dem uralten Grundgestein ausgebreitet waren und ihr Körper von Schluchzern geschüttelt wurde. Albekizan ging zurück und hockte sich neben seine Königin. Er berührte ihre Schultern und half ihr aufzustehen, strich mit seinen Krallen über die
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