Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
erkennen, was geschehen war. Als die Erddrachen – diejenigen, die noch in der Lage dazu waren – schließlich wieder aufgestanden waren, blieben lediglich die Überreste einer einzigen Wache auf dem Boden zurück, die allerdings bis zur Unkenntlichkeit zerhackt war. Von dem Zauberer war nicht eine einzige Schuppe zu finden.
»Ist er weg?«, fragte Bander.
»Sofort den Palast umstellen«, ordnete Kanst an. »Ruft die Luftwache zusammen. Der Zauberer darf nicht entkommen. «
»Wenn er überlebt, könnte er zu einer mächtigen Galionsfigur für den Widerstand der Menschen werden«, sagte Metron.
Albekizan schoss dem Hohebiologen einen bösen Blick zu. Dann wandte er sich an Zanzeroth. »Findet ihn«, blaffte
er. »Lasst Euch etwas Sinnvollerers einfallen, als fast eine Wache mit einem schlecht geworfenen Messer zu töten. «
Zanzeroth nickte. »Jawohl, Herr.« Er schritt in den Korridor und zog das Messer aus dem Ritz zwischen den Steinen. Wie er vermutet hatte, befand sich an der Schneide eine nasse, rote Linie. Er führte die Klinge an seine Nase und roch daran. Der Geruch des Zauberers war unverwechselbar; kein anderes Blut pflegte nach Blitzen zu riechen. Zanzeroth spürte große Zuversicht, dass er den entflohenen Zauberer schon bald finden würde, aber auf einer tieferen Ebene empfand er Befriedigung bei der Vorstellung, ihn zunächst einmal laufen zu lassen. Der König hatte dieses Durcheinander heraufbeschworen, indem er einem Narren so lange Vertrauen entgegengebracht hatte. Sollte Albekizan mit den Folgen fertig werden.
»Der Zauberer wird seine Freiheit nicht lange genießen können«, fauchte Albekizan. »Bander, sorgt dafür, dass das Menschenmädchen getötet wird. Wir brauchen die Hilfe des Verräters nicht. Wenn Ihr ihren Tod in Gang gesetzt habt, geht sofort zum Kerker. Holt Blasphet her.«
»B-B-Blasphet!«, sagte Bander, und sein schildkrötenähnlicher Schnabel stand weit offen.
Blasphet?, dachte Zanzeroth und begriff zum ersten Mal, dass Albekizans Hass auf Bitterholz möglicherweise tatsächlich noch größer war als sein eigener.
»Blasphet?«, fragte Metron. »Herr, sicherlich …«
»Still!«, fauchte Albekizan. »Ich habe meinen Befehl gegeben. Trotz seiner Taten habe ich Blasphet für einen solchen Tag wie den hier am Leben gelassen. Kein Drache
hatte jemals eine größere Begabung im Töten als er. Bringt ihn mir. Bringt mir den Mördergott.«
Im westlichen Teil von Albekizans Palast führte ein gewundenes Gewirr von Räumen zu einem Zimmer, das den Umriss eines Sterns hatte. Dies war das Zuhause von Vendevorex, dem Meister der Unsichtbarkeit. Der Raum selbst war ein nahezu undurchdringliches Labyrinth aus Bücherstapeln. An den Wänden befanden sich verstaubte Regale voller handgeblasener Flaschen in allen Größen und Formen, deren dunkle Inhalte im Licht der kleinen Fensterschlitze, die die Kammer säumten, leuchteten. Jandra saß am Tisch in der Mitte des Raumes. Ein gewaltiger Band lag aufgeschlagen vor ihr, dessen Seiten farbenprächtige und detailreiche Zeichnungen von Muscheln und Schnecken zeigten. Für einen Meister der Unsichtbarkeit konnte ihr Mentor manchmal unglaublich durchschaubar sein. Diese Aufgabe, die er ihr zugeteilt hatte, diente offenbar dem Zweck, sie aus dem Weg zu haben, während er den Mord an Bodiel untersuchte.
Das Klopfen an der Tür war für Jandra eine Erleichterung. Obwohl sie normalerweise eine hingebungsvolle Schülerin war, begrüßte sie die Möglichkeit, das Lesen über Schnecken unterbrechen zu können. Sie strich ihre langen braunen Haare zurück und ging zur Tür. Vendevorex hatte nie Besucher, aber manchmal, wenn er weg war, kamen Bedienstete zu Jandra in der Hoffnung, ein paar geringere Trankmischungen oder Zauber zu erhalten. Sie wusste genug über Vendevorex’ Kunst, um den meisten Bittstellern helfen zu können. Die Pasten, die sie zubereitete,
konnten Verbrennungen heilen, und während die Liebestränke, die sie verteilte, nur gefärbtes Wasser enthielten, gaben sie den Leuten doch Vertrauen und Mut, womit sie oft die Liebe erhielten, die sie suchten.
Unglücklicherweise sah sie weder eine Dienerin noch einen Stallburschen, als sie die Tür öffnete. Vier Erddrachen warteten auf sie; einer von ihnen trug Eisenschellen.
»Komm mit«, sagte der Drache mit den Schellen.
»Wohin?«, fragte sie. »Warum?«
»Frag nicht«, knurrte die Wache und packte ihren Arm. Die Klauen gruben sich in ihre Haut.
»Aua! In Ordnung! Ich komme
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