Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
Taverne?«, fragte Tulk. Er hatte oft von diesem Ort gehört, aber da er den größten Teil seines Lebens in Gefangenschaft verbracht hatte, war ihm nie das Vergnügen vergönnt gewesen, dort ein Bier trinken zu können. »Ich habe gehört, dass es aus Eisen besteht. Ich habe die Geschichten nie geglaubt.«
»Sie sind wahr«, sagte Cron. »Ein Priester von Kamon hat mir erzählt, dass dieses Schiff einmal über die Meere fahren konnte. Es ist von Menschen erbaut worden, bevor sie die Götter erzürnt haben und in Ungnade gefallen sind.«
Tulk hatte das Gefühl, als wäre er geschlagen worden.
Cron, der das offenbar spürte, fragte: »Was?«
»Du hast den blasphemischen Namen ausgesprochen.«
»Oh«, sagte Cron. »Du bist einer von denen.«
»Bist du ein Kamonit?« Tulk spuckte aus, nachdem er den Namen gesagt hatte, um das Übel von seiner Zunge zu befördern.
»Das sage ich dir nicht«, entgegnete Cron. »Ich vermute, du bist ein Anhänger von Ragnar, da du in Kamons Namen eine solche Beleidigung siehst.«
»Kamon ist ein Gräuel«, sagte Tulk und spuckte erneut
aus. »Seine Lügen haben im Laufe der Jahre Tausende von Menschen verdorben. Er lenkt sie von dem wahren Pfad ab und predigt, dass Drachen göttliche Wesen wären, die Nachkommen von Engeln und Menschen. Er will, dass wir uns als minderwertig empfinden und uns den Drachen gegenüber unterwürfig verhalten.«
»Stimmt. Und die Anhänger von Ragnar glauben, dass wir bei jeder Gelegenheit gegen die Drachen kämpfen sollen«, sagte Cron. »Wir sehen ja, wie gut diese Philosophie funktioniert. Menschen sind minderwertige Wesen und unterwürfig gegenüber den Drachen. Die Welt wäre für alle ein besserer Ort, wenn wir das mal schlucken würden.«
»Machst du dich über Ragnars Lehren lustig?«, fragte Tulk. »Sag die Wahrheit. Du kennst Kamons« – Tulk unterbrach sich abrupt und spuckte aus – »ketzerische Philosophien, aber ich kenne sie natürlich auch. Ich werde dich nicht allein wegen deines Wissens verdammen. Seine Lehren auszuüben ist allerdings jenseits jeden Anstands. Bist du ein Anhänger dieses üblen Propheten oder nicht?«
Cron seufzte. »Ich glaube nicht, dass dich das irgendwas angeht. Abgesehen davon sollten wir uns um andere Dinge kümmern als philosophische Fragen.«
»Ich habe mich verpflichtet, die Anhänger von Kamon zu töten«, sagte Tulk, blieb stehen und spuckte erneut aus. Er ballte die Fäuste. Er musste die Wahrheit wissen. Wenn er weiter in der Gesellschaft eines Kamoniten reiste, konnte das seine Seele gefährden. »Wir werden keinen Schritt weitergehen, wenn du mir meine Frage nicht beantwortest. Ragnar würde mir persönlich die Kehle aufschlitzen, wenn er wüsste, dass ich so lange in der Gesellschaft eines Gefallenen
gereist bin. Folgst du Kamons Lehren?« Er spuckte wieder aus.
»Wenn du weiter ständig ausspuckst, wirst du dich noch in Staub verwandeln.«
»Lieber will ich zu Staub werden, als der Begleiter eines Ketzers sein.«
»Ich sehe keine Wachen bei Stank«, sagte Cron, während er sich von Tulk abwandte. »Ich renne hin.«
Und der junge Mann lief los. Tulk folgte ihm; er hatte zu viel Angst, um allein zurückzubleiben. Sie rannten über die offene Fläche auf den roten, eckigen Fleck zu. Als Tulk nur noch hundert Fuß entfernt war, sah er, dass Cron die Wahrheit gesagt hatte. Stanks Taverne besaß tatsächlich die Form eines Schiffes. Es war etwa hundert Fuß lang und lag auf der Seite. Konnte ein so gewaltiges Ding jemals im Wasser geschwommen sein? Vielleicht war es einmal seetüchtig gewesen; jetzt war es das jedenfalls nicht mehr. Das Alter hatte den größten Teil des Schiffes in Rost verwandelt. Löcher gähnten in dem, was einmal feste Platten aus Eisen gewesen sein mochten. Der hintere Teil des Schiffes war an irgendeiner Stelle unter dem eigenen Gewicht zusammengebrochen. Was einst eine Luke auf Deck gewesen war, diente jetzt als Tür, die über wacklige Holzstufen zu erreichen war.
»Stank!«, rief Cron, während er in die dunklen Schatten der Luke trat.
»Ich fass es nicht!«, kam eine Antwort aus der Dunkelheit. »Cron! Bist du’s wirklich?«
Tulk ging vorsichtig die Stufen hinauf und streckte den Kopf durch die dunkle Tür. Das Erste, was er bemerkte,
war der Gestank, was nicht überraschend war. Er konnte den Geruch noch am ehesten mit Sumpfwasser vergleichen, das mit den aufgeblähten Leichen von Skunks angereichert war. Kein Wunder, dass die Drachen sich von diesem Ort
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