Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra
dankbar für das unscharfe Bild, das es erzeugte. Er konnte schwarze Ringe unter beiden Augen erkennen, die von der gebrochenen Nase herrührten. Die Beule auf seiner Stirn sah aus, als hätte jemand ein Hühnerei unter die Haut geschoben. Seine Unterlippe war aufgerissen und violett und ließ seinen Mund aussehen, als würde er ständig die Lippen schürzen.
Glücklicherweise hatte sich das rechte Nasenloch ein paar Stunden zuvor geöffnet. Er atmete allerdings noch immer durch den Mund, was zur Folge hatte, dass die Lücke zwischen den Zähnen von der Luft beim Atmen schmerzte. Wenn er den Mund schließen konnte, war der Schmerz erträglich, sofern er nicht lächelte oder die Stirn runzelte oder sich bewegte oder dachte.
Und dann saßen sie wieder auf neuen Pferden.
»Sag den anderen, du hättest mich während unserer Flucht aus den Augen verloren«, sagte Shanna zu Lin. »Es dauert möglicherweise etwas, bis ich zum Tempel zurückkehren kann. Informiere Colobi, dass die Taube es sicher ins Nest geschafft hat.«
Lin nickte und wendete ihr Pferd, um auf einem unbefestigten Pfad weiterzureiten, der die Straße kreuzte, die sie gerade entlangritten. Shanna drängte ihr Pferd zu einem raschen Trott in einer Richtung, von der Pet ziemlich genau wusste, dass es Westen war. Geographie war nie etwas gewesen, für das er irgendwelche Verwendung gehabt hätte. Er erinnerte sich schwach daran, gelernt zu haben, dass die Sonne im Westen unterging, aber dieses Wissen war für ihn bisher nie wichtig gewesen. Tatsächlich kümmerte es ihn auch gar nicht besonders, in welche Richtung sie ritten. Hauptsache, sie legten möglichst viele Meilen zwischen sich und Shandrazel.
Pet schlang seine Arme fest um Shanna, als diese ihr Pferd noch schneller antrieb. Er legte seine rechte Wange auf ihre Schulter; es war der am wenigsten verletzte Teil seines Gesichtes. Ihr Drachenflügelumhang war weich, das dunkle Leder warm. Er schloss die Augen, dankbar für zumindest dieses kleine bisschen Trost.
Es war am nächsten Morgen, als sie auf ihrem vierten Pferd ritten, da sie auf ein Lager von Menschen stießen. Die Landschaft
bestand aus unzähligen sanften Hügeln und Wäldern, und es schien, als würde er mit jedem Hügel, über den sie ritten, mehr und mehr Zelte sehen. Waren es Flüchtlinge aus der Freien Stadt? Sicherlich konnten das nicht alles Anhänger von Blasphet sein. Pet hatte mit Mathematik nichts zu schaffen, aber er ahnte, dass die Menschen hier in die Tausende zählen mussten.
Aber nun – wenn Blasphet tatsächlich eine Armee von Tausenden besaß, war das eben so. Pet hatte bisher in seinem Leben nie an irgendetwas mit besonders viel Leidenschaft gehangen. Er hatte sich auf eine schlichte Philosophie gestützt – wünschte man sich ein behagliches Leben, musste man dem Pfad der größten Behaglichkeit folgen. Aber während dieser Reise hatte er viel Zeit gehabt, darüber nachzudenken, dass Behaglichkeit vielleicht nicht das Wichtigste im Leben war. Der wahre Bitterholz, dem er einmal begegnet war, hatte sein Leben der Rache verschrieben. Damals hatte Pet den Mann für geistig krank erklärt. Jetzt, da sein eigenes Gesicht geschwollen und die Haut verschorft war, begann Pet, den Wert der Rache schätzen zu lernen.
Er vermutete, wenn Blasphet ihm einen vergifteten Dolch in die Hand drücken und zurück zur Burg schicken würde, würde er den Auftrag annehmen. Sein ganzes Leben lang hatte er zugelassen, dass Sonnendrachen ihn zu dem Menschen machten, als den sie ihn haben wollten. Absichtlich oder nicht, Shandrazel hatte aus ihm einen Mann gemacht, dessen Gedanken nur noch um Mord kreisten.
Shanna führte ihr Pferd zum größten aller Zelte. Pet erkannte es augenblicklich und zitterte – es war das Zelt, das einst Kanst gehört hatte, dem Vetter von Albekizan und General seiner Armee. In diesem Zelt hatte er viele Nächte geschlafen, nachdem er gefangen genommen worden war.
»Was geht hier vor?«, fragte er Shanna, als sie vor den Zeltklappen stehen blieb. »Das ist Kansts Zelt.«
»Nicht mehr, seit Kanst von Vendevorex getötet worden ist«, sagte Shanna und stieg ab. »Nach dem Fall der Freien Stadt hat unser Anführer die Versorgungswagen für sich beansprucht, die von Albekizans Armeen benutzt worden waren. Sie hatten vollbepackt vor den Toren der Freien Stadt gestanden. Der Herr selbst hat uns diese Vorräte in die Hände gegeben.«
Pet sah sich wieder in der Zeltstadt um. »Ich bin überrascht, dass so viele
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