Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra
Stahlgitter und Turmspitzen, die das Nest zu einer Festung machten, mussten schließlich von irgendwoher kommen.
Er flog langsamer. Die Walküre kam näher. War sie eine Botin der Matriarchin? Vielleicht hatte sie ihre Meinung geändert? Kaum hatte er diesen Gedanken gedacht, verwarf er ihn auch schon wieder, beschämt darüber, wie bereitwillig sein Herz sich an eine Hoffnung klammerte.
Graxen beschloss, sich der Walküre direkt entgegenzustellen, und veränderte seinen Kurs entsprechend. Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich rasch. Als sie sich auf hundert Schritt angenähert hatten, erkannte er, wer es war – Träne, das Drachenweibchen, das ihn verfolgt hatte. Sie trug wieder ihre Rüstung, aber keinen Speer. War es Rache, weshalb sie hinter ihm her war? Aber wenn ja, wieso war sie dann unbewaffnet? Sie schwang sich jetzt in einem Bogen herum, und er tat das Gleiche auf seiner Seite, so dass sie gemeinsam einen großen Kreis durch die Luft vollführten. Während sie lässig dahinglitten, sahen sie sich beide über die Entfernung hinweg an.
»Du hast deine Tasche fallen lassen«, sagte sie, und etwas Verschmitztes blitzte in ihren Augen auf. Graxen sah, dass seine Ledertasche an ihrem Gürtel befestigt war, genau dort, wo zuvor die Schellen gewesen waren. Ihr Schwanz schnellte vor und riss die Tasche frei. Sie taumelte in einer Spirale der Erde entgegen. Graxen tauchte nach unten ab und schnappte sie sich mit den Hinterklauen. Die Tasche fühlte sich schwer an –
irgendetwas war darin. Er hob rasch den Kopf. War dies ein Trick, um ihn von einem hinterhältigen Angriff abzulenken? Die Walküre flog weiter im Kreis; in ihrer Miene war nicht die geringste Boshaftigkeit zu erkennen.
»Danke«, sagte er und schlug mit den Flügeln, um sich wieder auf gleiche Höhe mit ihr zu bringen.
»Es tut mir leid, dass Spatz dich angegriffen hat. Sie hätte dort nie als Wache eingeteilt werden dürfen.«
»Sie hat nur ihre Arbeit getan.«
»Unsere Arbeit ist es, die Insel zu verteidigen, nicht, unschuldigen Boten zuzusetzen.«
»Ich bin Feindseligkeit gewöhnt«, sagte Graxen.
»Sie hat dir bemerkenswerte Reflexe beschert«, sagte sie.
An Komplimente war Graxen nicht gewöhnt. Er stellte fest, dass es ihm schwerfiel zu antworten. Eine lange Pause entstand, in der niemand sprach.
Träne nahm die Stille als Einladung zu einer weiteren Erklärung. »Spatz ist erst seit einem Jahr eine Walküre. Während ihrer ersten Wache ist sie mit zwei anderen, erfahreneren Walküren von einer Gruppe Fetzenflügeln aus dem Hinterhalt überfallen worden.«
»Oh«, sagte Graxen. Das Einzige, das bei den Himmelsdrachen noch geringer galt als eine Missgeburt, war ein Fetzenflügel. Dabei handelte es sich um kriminelle Himmelsdrachen, deren Flügel zur Strafe aufgeschlitzt worden waren. Für immer auf den Boden beschränkt, überlebten Fetzenflügel mit Betteln oder durch Räubern. Es klang, als wäre Spatz Letzterem zum Opfer gefallen.
»Die älteren Walküren sind getötet worden. Spatz wurde … misshandelt. Sie ist erst vor kurzem in den Dienst zurückgekehrt. Ihr Angriff auf dich war ein Angriff auf die Geister, die sie heimsuchen. Und dann stammt sie aus dem Geschlecht von
Pachythan, weshalb sie sich vielleicht zusätzlich verpflichtet gefühlt hat, so mit dir umzugehen.«
Graxen verstand nicht, was ihre Herkunft damit zu tun haben sollte. Pachythan war der jüngere Bruder von Metron. Wollte sie damit sagen, dass Spatz gewissenhafter war, weil sie die Nichte eines derart herausragenden Himmelsdrachen war?
»Ich möchte nicht, dass du alle Walküren in einen Topf wirfst. Die meisten hätten dich ohne Provokation deinerseits nie angegriffen. «
»Ich bin froh, dass du die Ereignisse, die dann folgten, nicht als Provokation siehst«, sagte Graxen.
»Wärst du in der Nähe gewesen, als ich mich befreit habe, hätte ich dich sicherlich ausgeweidet. Aber ich hege keinen Groll. Du hast mich einfach besiegt. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, werde ich ganz gewiss keine so leichte Gegnerin sein.«
»Das vermute ich«, sagte Graxen. »Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass wir uns wiedersehen. Die Matriarchin hat mich unmissverständlich aus dem Nest gejagt.«
»Wie es ihre Pflicht ist«, sagte Träne. »Flieg weit, Graxen der Graue. Geh mit dem Wissen, dass du dir meinen Respekt erworben hast.«
»Ich fühle mich geehrt«, sagte er. »Darf ich nach deinem Namen fragen?«
Sie hatte sich schon in Schräglage gebracht und
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