Die Herrschaft der Drachen 03 - Blasphet
und lächelte. Sie zog das Schwert lautlos aus der Scheide, während sie die Finger an die Lippen legte. Dann duckte sie sich und glitt zu einigen Zierbüschen am Straßenrand, zwischen denen sie verschwand.
»Ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen wegen des Lärms machen müssen«, flüsterte Jandra, während sie darauf wartete, dass Anza ihre ganz eigene Magie schwang.
Als sie durch die Tore in den Palast schlüpften, überkam Jandra ein Anflug von Orientierungslosigkeit. In den vergangenen Wochen war sie stets von Menschen umgeben gewesen und hatte sich daran gewöhnt, die Welt mit menschlichen Maßstäben
zu betrachten. Jetzt jedoch, als sie in die Lebenswelt der Sonnendrachen zurückkehrte, kam sie sich wieder klein vor. Sonnendrachen waren doppelt so groß wie Menschen, selbst in gel stem Zustand. Von der Schnauze bis zum Schwanz maß der durchschnittliche Sonnendrache vierzig Fuß. Burkes Etage über der Gießerei hätte im Palast kaum als Wandschrank genügt. Die glasierten Keramikschüsseln, aus denen die Sonnendrachen tranken, hätten ihr als Waschschüssel dienen können.
Anza hatte die Leichen der vier getöteten Wachen versteckt, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand die Lücke in der Verteidigung bemerken und Alarm schlagen würde. Und wenn erst Ochsenhunde auf die Eindringlinge angesetzt wurden, würde es ihnen rein gar nichts mehr nützen, dass sie unsichtbar waren.
Echs wurde still; vielleicht spürte er Jandras Besorgnis. Er hockte auf ihrer Schulter und hatte den einen Arm um ihren Hals gelegt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sein Kopf ruhte an ihrer Wange. Der Atem von Echs war sogar noch schlimmer als der eines Hundes – seine Nahrung bestand hauptsächlich aus Käfern, Würmern und kleinem Getier, das er selbst fing. Sie hob ihre Hand und strich ihm über den Kopf, sowohl um ihn zu beruhigen als auch um sein Maul etwas von ihrer Nase wegzubewegen. Seine Schuppen waren trocken und warm.
Jandra führte Anza und Shay durch ein Gewirr aus Korridoren, bis sie die steinerne Treppe erreichten, die in den Turm hinaufführte, in dem sie einst gewohnt hatte. Ein einzelner Erddrache stand dort Wache, aber die Treppe war breit genug, so dass es möglich war, unbemerkt an ihm vorbeizuschlüpfen. Der Erddrache legte den Kopf leicht schräg, als sie sich näherten. Shays Umhang raschelte beim Gehen, erzeugte ein schwaches
Swisch, Swisch. Auch Jandras Stiefel erwiesen sich als ungünstig, wenn es darum ging, unbemerkt zu bleiben.
Sie wurden so langsam, dass sie beinahe schlichen. Der Erddrache wandte den Kopf ab und blickte uninteressiert drein. Mit angehaltenem Atem gingen sie auf Zehenspitzen an ihm vorbei. Anzas Ledermokassins verursachten nicht den geringsten Laut, egal, wie rasch sie sich auch bewegte.
Sie erreichten die Spitze des Turms ohne Schwierigkeiten. Als sie auf dem Weg zum Palast gewesen waren, hatte Jandra sich ausgemalt, was alles passieren mochte, aber bisher waren sie leichter durchgekommen, als sie gehofft hatte. Wenn ihr Flaschengeist noch im Zimmer war, würden sie auch keinerlei Probleme haben, den Palast unbemerkt wieder zu verlassen.
Sie stieß die schwere Eichentür zu ihrem früheren Zuhause auf. Das Zimmer befand sich zum größten Teil noch in dem Zustand, in dem es gewesen war, als sie es verlassen hatte. Sein Grundriss war der eines riesigen Sterns, und durch die hohen Fenster fiel das Mondlicht herein, warf hier und da helle Flecken auf den gefliesten Boden. Blasphet hatte sämtliches Hab und Gut von Vendevorex aus dem Zimmer geworfen. Früher einmal waren die Wände mit Regalen gesäumt gewesen, in denen sich Bücher und allerlei Merkwürdigkeiten befunden hatten. Krüge mit konservierten Schnecken und Schlangen sowie Skelette von Kaninchen und Schildkröten waren in der Zeit, als sie Anatomie gelernt hatte, gutes Anschauungsmaterial gewesen. Vom zarten Kindesalter an war sie mit den Präparationen der verschiedensten Kreaturen in Berührung gekommen, angefangen von der einfachsten Nacktschnecke bis hin zu dem ausgeklügelten Aufbau eines Fledermausflügels. Als sie jetzt auf die nackten Wände blickte, stellte sie erstaunt fest, dass selbst das Fehlen eingelegter Würmer bei ihr das Gefühl von Einsamkeit erzeugen konnte.
Nachdem Shandrazel den Thron übernommen hatte, waren die wenigen Gegenstände, die Jandra als ihr Eigentum hatte bezeichnen können, wieder in diesen Raum zurückgeschafft worden. Es waren nur wenige Gegenstände: ein kleines
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