Die Herrschaft der Orks
völlig reglos, von den halb geschlossenen Augen war nur das Weiße zu sehen. Aryanwen konnte nicht anders, als das namenlose Grauen, das sie in diesem Moment empfand, laut hinauszuschreien.
Ihr Geliebter war tot!
Die Zwerge hatten ihn geköpft, genau wie Rungbold!
Ihr Schrei hallte von den nahen Wänden zurück und hüllte sie ein, umgab sie einen Augenblick lang wie eine schützende Blase. Solange sie Luft hatte, um zu schreien, wehrte sie sich mit aller Macht gegen die schreckliche Erkenntnis, doch dann ließen ihre von Kälte und Feuchtigkeit geschwächten Lungen sie im Stich. Ihr Schrei brach ab, und sie wurde von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt. Gekrümmt sank sie zurück auf den Boden, fiel vornüber, nun von Weinkrämpfen geschüttelt. Und über ihr eigenes Schluchzen und das Rauschen in ihrem Kopf hinweg konnte sie höhnisches Gelächter hören.
Vigor …
»Lasst es gut sein, Prinzessin!«, rief Winmars Scherge spöttisch. »Ihr braucht nicht so zu schreien. Noch hat der Kopf einen Körper – schließlich bin ich noch nicht fertig mit ihm. Aber ich dachte mir, dass Ihr Euch vielleicht freuen würdet, ein wenig Gesellschaft zu erhalten.«
Damit wurde die Verriegelung der Kerkertür geöffnet. Mit hässlichem Knarren schwang das Türblatt auf, und Aryanwen, die aufblickte, die Augen in Tränen schwimmend, konnte ihre Erleichterung kaum fassen. Dort stand der Mann, den sie liebte, halb bewusstlos und von Blessuren übersät – aber am Leben!
Wie sehr hatte sie sich in den vergangenen Wochen nach seiner Nähe gesehnt, wie oft hatte sie sich ausgemalt, wie es sein würde, wenn sie einander wiedersahen. Allein dieser Gedanke, so irrational er auch gewesen sein mochte, hatte ihr Kraft und Hoffnung gespendet und ihren Verstand davor bewahrt, in den Abgründen des Wahnsinns zu versinken!
»Dag!«
Sie wollte zu ihm, als man ihn grob in die Zelle stieß. Schwerfällig taumelte er zwei Schritte vorwärts und wäre gestürzt, hätte sie ihn nicht aufgefangen. Geschwächt, wie sie war, konnte sie ihn kaum halten und ging unter seinem Gewicht nieder, versuchte dennoch, ihn so sanft wie möglich auf das Strohlager zu betten.
»Ihr Mistkerle!«, rief sie, über sein in blutigen Strähnen hängendes Haar streichend. »Was habt ihr ihm angetan?«
Vigor, der im Eingang der Zelle stand, hatte die Daumen in den breiten Gürtel gesteckt. »Nichts Besonderes, Prinzessin. Nur die übliche Willkommenszeremonie, die jedem Gast in diesen Hallen zuteil wird – mit Eurer Ausnahme, natürlich.«
»Oh mein Liebster …!«
Sie sprach mit ihm, strich ihm das schmutzige Haar aus dem Gesicht. Sein Atem ging flach und rasselnd, er blutete aus der Nase und aus einer Platzwunde an seiner Schläfe. Offenbar hatten Vigor und seine Schinder ihn brutal zusammengeschlagen, doch im Augenblick überwog Aryanwens Sorge ihre Wut bei Weitem.
»Dag, bitte komm zu dir! Dag …!«
Sein Atem verstärkte sich, wurde zu einem scharfen Luftholen – und unvermittelt schlug er die Augen auf, so als hätte ihre Stimme ihn wieder ins Hier und Jetzt zurückgebracht. An seinem Blinzeln und seinem unsteten Blick war jedoch zu erkennen, dass er nicht lange dort verweilen würde.
Er schien einen Moment zu brauchen, um seinen Blick zu fokussieren. Dann sah er sie – und ein Lächeln schlich sich in seine blutigen, malträtierten Züge.
»Aryanwen …«
»Caria siwi, athan« , flüsterte sie.
»Sha caria siwi, athana« , erwiderte er, und als sich ihre Blicke trafen, schien für einen Augenblick nichts zu existieren als sie selbst und ihre Liebe. Ein Augenblick, der freilich nicht von langer Dauer war …
»Euer elfisches Gestammel wird euch nichts nützen, ich weiß auch so, was die Stunde geschlagen hat«, höhnte Vigor vom Eingang her. »Bisweilen pflegt die Liebe die Zungen noch wirkungsvoller zu lösen als jede Folter.«
»Was wisst ausgerechnet Ihr von der Liebe?«, fuhr Aryanwen ihn an, den Körper ihres Geliebten an sich pressend.
»Genug, um zu wissen, dass man aus Liebe manche Torheit begeht«, scholl es zurück. »So wie Euer heldenhafter Retter hier. Als er sagte, dass er gekommen wäre, um Euch zu befreien, hielt ich das für eine dreiste Lüge, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie er von Eurer Gefangenschaft erfahren haben sollte. Aber ganz offenbar hat er die Wahrheit gesagt, denn Ihr scheint ihn bereits sehnsüchtig erwartet zu haben.«
Erneut musste Aryanwen sich sein höhnisches Gelächter anhören, doch ihre
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