Die Herrschaft der Orks
tadelte die Prinzessin. »Du solltest damit aufhören, ständig anderen die Schuld zu geben, sondern bei dir selbst nach den Gründen suchen. So hatte man mir euch beschrieben – mutig und tapfer, aber auch voller Uneinsichtigkeit über die eigenen Schwächen.«
»Schwächen?« Balbok blickte seinen Bruder ratlos an.
»Weiß nicht, was das Weib meint.«
»Genau davon spreche ich. Ihr beide seid undiszipliniert, unvernünftig und unverschämt!«
»Was hast du erwartet, Prinzessin?«, grunzte Rammar. »Wir sind Orks!«
»Ganz offensichtlich«, seufzte sie. »Daher ist wohl auch kein Dank dafür zu erwarten, dass Dag Euch aus der Festung der Zwerge herausgeführt hat, oder?«
»Dank?« Rammar lachte heiser auf. »Mädchen, unsere Sprache kennt nicht mal ein Wort dafür. Und außerdem, wofür sollte ich mich bedanken? Schließlich wären mein Bruder und ich ohne dich und das Halbhirn erst gar nicht in diese beshnorshte Lage geraten. Ganz abgesehen davon, würdest du immer noch in deiner Zelle sitzen und Schaben fressen, Prinzessin, wenn wir beide nicht gewesen wären.«
»Das bestreite ich nicht, aber …«
»Hört auf zu streiten«, stieß Dag hervor. »Müssen verschwinden … Wenn die Zwerge merken, dass geflüchtet … überall von Wachen wimmeln.«
Dem konnte und wollte niemand widersprechen.
Der Ausgang des Tunnels, der wohl der Versorgung der Zwergenfestung mit Frischluft diente, befand sich in einer von Felsen und Buschwerk übersäten Schlucht, über der sich ein grauer Himmel spannte. Dem Stand der Sonne nach, die sich vergeblich gegen die dichten Wolken mühte, war es später Nachmittag. Nicht mehr lange, und die Dunkelheit würde hereinbrechen und sie vor neugierigen Blicken verbergen – bis dahin jedoch mussten die Flüchtlinge auf der Hut sein.
Dag wollte sich aufrichten, um erneut die Führung zu übernehmen, doch nun verlangte die Anstrengung Tribut. Auf Aryanwen gestützt tat er ein, zwei Schritte, dann brach er stöhnend zusammen.
»So geht es nicht«, entschied die Prinzessin und wandte sich an die Orks. »Ihr Helden der alten Zeit werdet ihn tragen müssen.«
»Sonst noch was?« Rammar schüttelte ungläubig den Schädel. »Und hör endlich auf, uns so zu nennen!«
»Dag ist der Einzige, der den Weg kennt«, beharrte Aryanwen. »Wenn ihr ihn lieber hier lassen und euer Glück auf eigene Faust versuchen wollt, bitte sehr. Aber ich fürchte …«
»Schon gut«, knurrte Rammar. »Los, Langer – schnapp dir das Bürschchen, dann hauen wir ab.«
»Wieso immer ich?«, wollte Balbok wissen.
»Weil ich es sage, Blödhirn, deshalb. Ich werde dafür die Nachhut übernehmen und dir den Rücken freihalten.«
»Gut«, sagte Aryanwen lächelnd, »da fühle ich mich gleich viel sicherer.«
Sie wartete, bis sich Balbok Dags halb leblose Gestalt auf die Arme geladen hatte. Dann übernahm sie die Führung und ging dem hageren Ork voraus zum Ausgang der Schlucht. Rammar folgte ihnen auf dem Fuß, die wulstigen Lippen zusammengekniffen und äußerlich ruhig – in seinem Kopf jedoch spielten sich die wildesten Blutphantasien ab.
»Eins ist dir hoffentlich auch klar, umbal «, raunte er Balbok leise zu. »Wenn wir das Buch erst haben, machen wir nicht nur den Menschen kalt, sondern das Weibsstück gleich noch mit.«
Nicht nur die späte Tageszeit kam ihnen zu Hilfe, sondern auch die Landschaft, die zerklüftet war und von Bäumen und Buschwerk übersät, sodass sie gute Deckung bot.
Wie sich herausstellte, hatten sie die Zwergenfestung in südostlicher Richtung verlassen, was bedeutete, dass sie der Grenze von Ansun näher waren als jener von Tirgaslan. Rammar kümmerte es nicht, wo sie das Zwergenreich verließen – er wollte nur möglichst rasch irgendeine Grenze zwischen sich und den Hutzelbärten wissen, die, wie er schon leidvoll erfahren hatte, zu ausgeprägter Rachsucht neigten. Sollten die Orks auf ihrer Flucht eingeholt und erneut gefangen werden, würden sich die Zwerge nicht mehr damit begnügen, sie zu Zwangsarbeit zu verurteilen – im Geiste sah Rammar schon seinen und Balboks Kopf in irgendeiner Kiste gammeln.
Die Sorge vor den Nachstellungen der Zwerge führte dazu, dass der dicke Ork keinen Schmerz in den Beinen spürte, obschon sie bereits seit Stunden marschierten; und sie steigerte seine Wachsamkeit. Unablässig blickte er sich um, während er hinter seinen Gefährten durch das Dickicht des sich immer weiter verdichtenden Bergwaldes schlich. Immer wieder stieß er sich an
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