Die Herrschaft der Orks
setzte sich auf die Kante seines Lagers, die unter seinem Gewicht bedenklich ächzte.
»Sag mal«, wandte er sich dann an seinen Bruder, der neben ihm kauerte und ihn noch immer verwundert ansah.
»Ja?«
»Bist du immer noch der Ansicht, dass wir zurück aufs Festland gehen und den Milchgesichtern einen Besuch abstatten sollten?«
»Und ob!« Balbok sprang auf und ballte eine grüne Faust. »Wir sollten ihnen zeigen, wozu Orks aus echtem Tod und Horn fähig sind. Das sind wir ihnen schuldig, findest du nicht?«
»Nein«, wehrte Rammar ab, den die Argumentation seines Bruders nicht überzeugte. »Aber ich weiß, dass es mit unserer Ruhe hier vorbei ist, wenn das Buch der Elfin in fremde Klauen gelangt.«
»Wieso? Was meinst du?«
»Verstehst du denn nicht? Wenn es stimmt, was der Junge sagt – und danach sieht es zumindest aus – erinnert sich bei den Milchgesichtern niemand mehr an diese Insel. Sie liegt hinter den Nebelbänken, also ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand sie aus purem Zufall findet, nicht sehr groß.«
»Und wenn doch«, fügte Balbok gutgelaunt hinzu, »können wir ihn immer noch massakrieren und den Fischen zum Fraß vorwerfen.«
»Eben. Aber wenn jemand in den Besitz des Buches gelangt, der das Zeug dazu hat, eine Armee auszurüsten und sie hierher zu führen, dann wird es hier verdammt ungemütlich. Geht das in deinen schmalen Schädel?«
»Korr.«
»Noch scheint der Junge der Einzige zu sein, der von der Existenz der Insel weiß«, spann Rammar seinen Gedanken weiter, »und das muss unbedingt so bleiben. Wir werden also mit ihm zum Festland zurückkehren …«
»Au ja!«, rief Balbok aus und klatschte in die Klauen.
»… unter dem Vorwand, dort nach dem Rechten sehen zu wollen – in Wirklichkeit geht es uns darum, uns das Buch der Elfin unter den Nagel zu reißen und es zu vernichten. Anschließend stoßen wir den Jungen in Kuruls Grube, und es wird niemanden mehr geben, der von der Existenz unserer Insel weiß. Dann kehren wir hierher zurück und saufen und fressen glücklich bis ans Ende unserer Tage. Kapiert?«
»Korr« , stimmte Balbok bewundernd zu. »Wie klug du bist.«
»Eben. Und deshalb weiß ich auch, dass wir vorsichtig sein müssen. Wenn bei den Menschen wirklich fünfhundert Jahre vergangen sind, wissen wir nicht, was aus ihnen geworden ist oder was für seltsame Erfindungen sie in der Zwischenzeit gemacht haben.«
»Rammar?«
»Was?«
»Hast …?« Eine Frage schien Balbok zu beschäftigen, doch es schien ihn einige Überwindung zu kosten, sie auszusprechen. »Hast du vor den Milchgesichtern Angst?«
»Du elender Shnorsher! Angst kennt ein Rammar nicht! Aber wir haben keine Ahnung, was uns dort erwartet, also sollten wir uns zumindest vorsehen. Das ist nicht mehr die Welt, die wir kennen, verstehst du das?«
»Douk.« Balbok schüttelte den Kopf.
»Das habe ich befürchtet«, meinte Rammar und atmete so tief ein, dass es aussah, als wollten seine grünen Züge nach innen schnappen. »Die Entscheidung tut mir bereits leid.«
»Jetzt schon?«, fragte Balbok. »Warum gehen wir dann?«
»Weil wir keine andere Wahl haben, Trollfurz, deshalb! Und jetzt geh und lass mich wieder schlafen. Und wenn du noch einmal meinen Namen rufst, wenn ich träume, kannst du was erleben!«
» Korr . Gute Nacht, Rammar.«
»Nacht.«
Auf der Bettkante sitzend, die Zähne verdrießlich gefletscht und die dicken Arme vor der Brust verschränkt, wartete Rammar, bis sein Bruder das Gewölbe verlassen hatte. Erst dann ließ er sich wieder nieder – davon, wieder einzuschlafen, konnte jedoch keine Rede sein.
Auf dem Rücken liegend starrte Rammar zur Decke. Seine Gedanken waren so düster wie das Halbdunkel, das in der Königshöhle herrschte und von den Resten des Dungfeuers rührte, die in der Esse schwelten.
Dass er auf die Sache mit dem Buch nicht selbst gekommen war, sondern dass ihm im Traum Alannah erschienen und auf die Gefahr aufmerksam gemacht hatte, hatte er geflissentlich für sich behalten. Zum einen brauchte er seinem Bruder nicht alles auf die Schnauze zu binden, zum anderen hätte er wohl ohnehin nur dämlich gelacht. Schließlich war es kaum zu glauben, dass ihn das Elfenweib, obschon seit Jahrhunderten tot, noch immer nach ihrer Pfeife tanzen ließ.
Und irgendwo in Rammars Hinterkopf keimte ein Verdacht, den er weder bewusst denken geschweige denn laut aussprechen wollte – nämlich dass dieser Traum kein Zufall gewesen war.
7.
BOCHLOBH
Die Schreie
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