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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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(»dekabr«) als Dekabristen in die Geschichte eingingen. Sie träumten von einer Verfassung für Russland und kritisierten die staatliche Willkür, das Fehlen unabhängiger Gerichte, die korrupte Bürokratie. Als einflussreichster Denker der Bewegung galt der deutschstämmige Revolutionär und Republikaner Pawel Pestel. Diese gebildete und mit westlichen Ideen vertraute Elite setzte sich zusammen aus Männern, die nicht nur in russischen, sondern auch in anderen europäischen Salons leidenschaftlich über Politik diskutierten. Doch gegen die Artillerie des Zaren waren sie machtlos – die Rebellion endete im Blutbad. Nikolai ließ Geschütze in die Menge feuern, dann eilte er zurück in den Winterpalast und schrieb an seinen Bruder Konstantin: »Ich bin Zar, aber – mein Gott – um welchen Preis! Um den Preis des Blutes meiner Untertanen.« 50 Männer starben nach offiziellen Angaben; Augenzeugen sprachen von 250 Toten.
    Die verurteilten Dekabristen erhielten harte Strafen. Fünf Aufständische, darunter auch Pestel, wurden hingerichtet, die übrigen Männer zu Zwangsarbeit verurteilt und nach Sibirien verbannt. Es sei seine Pflicht, »Russland und Europa diese Lektion zu erteilen«, betonte Nikolai gegenüber dem französischen Botschafter. Der Kaiser führte die Verschwörung auf europäische Einflüsse zurück, wusste aber, dass die Kritik der Dekabristen berechtigt war. Nicht zuletzt, um Neues über den Zustand seines Reichs zu erfahren, ließ er die Rebellen vor der Verurteilung ausgiebig verhören. Der Band mit ihren Aussagen lag in den folgenden drei Jahrzehnten stets auf Nikolais Schreibtisch.

    Porträt des Kaisers Nikolai I ., 179 6 bis 1855
    (Gemälde von Franz Krüger, 1847)
    CULTURE-IMAGES/FAI
    Wie kein anderes Ereignis sollte der blutige Auftakt seine Regentschaft prägen. Bereits Nikolais Vater Paul I. war 1801 von adeligen Offizieren ermordet worden. Lebenslang würde der Zar nichts so sehr fürchten wie eine Rebellion. Noch vor seiner Krönung gründete er im Juli 1826 seine geheime Staatspolizei, die sogenannte Dritte Abteilung. An die Spitze setzte er seinen Freund General Benckendorff. Der Auftrag: »Informationen über alle Geschehnisse – und zwar ohne Ausnahme – sammeln« und »gefährliche Personen« verhaften. Tatsächlich sicherte der Überwachungsapparat vor allem die Macht des Kaisers. Kritische Köpfe ließ Nikolai kurzerhand für geisteskrank erklären, Schulen und Universitäten seines Reichs wurden autoritär geführt. Einen Studenten, der seinen Akademiedirektor geohrfeigt hatte, verurteilte der Zar zu Spießrutenlauf und Strafbataillon.
    Militärischer Drill bestimmt von Anfang an das Leben des Nikolai Pawlowitsch, der am 6. Juli 1796 als dritter Sohn von Zar Paul I. und Zarin Marija Fjodorowna in Zarskoje Selo geboren wird. Er ist kaum mehr als vier Monate alt, da überträgt ihm der Vater pro forma sein erstes militärisches Kommando: als Oberst der kaiserlichen berittenen Garde. Noch vor dem dritten Geburtstag steckt das Kind in seiner ersten Uniform. Der Vater bewundert den preußischen Militarismus. Maßgeblichen Einfluss auf Nikolais Erziehung hat ab dem vierten Lebensjahr der baltendeutsche General Graf Lambsdorff – ein Mann von geringer Bildung, der auf militärische Disziplin setzt und Nikolai, wie er später selbst berichtet, »häufig während der Unterrichtsstunden auf schmerzhafte Weise mit dem Stock züchtigte«. Auf die Aufgaben eines Zaren wird er nicht vorbereitet. So wie sich Nikolai für alles Militärische begeistert, so langweilt er sich in Logik und Wissenschaft und zeichnet lieber Karikaturen seiner Hauslehrer. Nur das Studium militärischer Dinge habe ihn »leidenschaftlich beschäftigt«, sagte Nikolai rückblickend. »Nur darin fand ich Trost und eine meinen geistigen Neigungen entsprechende Betätigung.« Aus dem Militär leitet er sein Motto ab: »Für mich ist alles menschliche Leben nichts weiter als Dienst, denn jeder muss dienen.«
    Nikolais enge Weltsicht sollte Russland zum Verhängnis werden – ebenso wie sein mangelndes Verständnis für die Probleme der Zeit. Der Monarch, der seine Macht für gottgegeben hielt, verstand sich als Vater des Volkes. Tatsächlich war er oberster Befehlshaber eines geschlossenen Systems. »Nicht durch kühne und ungestüme Träume, die stets destruktiv sind, sondern nach und nach, von oben her, werden Gesetze gemacht, Unzulänglichkeiten beseitigt und Missbrauch wieder gutgemacht«, schrieb er in einem

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