Die Herzen aller Mädchen
Bettina.
»Du hörst mich morgen ab.«
»Okay.«
»Den ganzen Nachmittag.«
»Gut.«
»Wo willst du überhaupt hin um die Zeit?!« Vorwurfsvoll musterte Rasta Bettinas ungewohnte Aufmachung. Gelegenheit zum Umziehen hatte sie immer noch keine gehabt.
Sie zuckte die Achseln.
»Ach weißt du was«, sagte Rasta, »ich will es nicht wissen. Ich hoffe nur, deine Kinder werden irgendwann wie du. Damit du merkst, wies ist.«
»Meine Kinder«, sagte Bettina, »werden besser als ich.«
Rasta schaute sie an und begann zu lachen. »Mann, Tina. Ich geh heute um zwei ins Bett. Hast du verstanden? Ab dann verletzt du deine Aufsichtspflicht, wenn du nicht zurück bist.«
»Da bin ich längst wieder da.« Bettina hielt ihm den Ersatzwohnungsschlüssel hin.
Rasta nahm ihn und schüttelte den Kopf und knallte seine rot gestrichene Tür hinter ihr zu.
* * *
Lisa träumte. Sie trug das schöne Kleid, sie spazierte auf der Promenade mit Georg, sie genoss den Sonntag. Es roch nach Meer und Körperöl und zuckrigem Kuchen und feuchten Straßen und dem starken Tabak, den jedermann hier rauchte. Es war ein Traum, den sie schon kannte, ein Traum, der sich veränderte, sein Duft wurde stärker, seine Farben fahler, Georg neben ihr war nur noch ein Schemen, eine Präsenz ohne Konturen, eine Person, die sie nicht ansehen konnte, er ging Schulter an Schulter mit ihr und hatte doch kein Gesicht. Die See rauschte, der Wind frischte auf. Die Familie mit dem blonden Kind nahte. Diesmal machten die anderen Passanten eine Gasse für sie frei. Vater, Mutter, Tochter und Engel. Sie kamen auf Lisa zu, italienisch-elegant, italienisch-ernst, starr und rachsüchtig. Das Engelchen löste sich von der Hand seines Vaters. Es hüpfte hoch und sprang los. Lisa sah es mit Entsetzen. Die Haare des Kindes leuchteten wie Gold. Es kam auf Lisa zu. Es sah ihr in die Augen. Es drehte sich zu seinen Eltern zurück. »Da ist sie«, rief es, und seine Stimme hallte gespenstisch über dem nur äußerlich belebten Pflaster. »Da ist sie, Papa. Sie ist gekommen, Mama. Siehst du? – Ich mag sie nicht.«
* * *
Er küsste sie mehr als sehnsüchtig. Dann machte Gregor sich von Bettina los und führte sie in sein nicht sonderlich verwüstetes Wohnzimmer. Sie setzte sich auf die Ledercouch. Die Seide ihres Rocks knisterte. Sie schlüpfte aus den Pumps und schlug ein Bein unter. Endlich war sie richtig gekleidet, zum ersten Mal an diesem Tag. Für einen traurigen Mann gab es kein Dekolleté, das zu tief, keine Haare, die zu schimmernd, keine Frau, die zu freizügig war. Sie inspizierte die Flaschen auf dem Tisch. Rauch stand tief im Raum, das Licht war dämmrig, die Musik klar und hart. Gregor setzte sich in den Sessel gegenüber, legte die Arme auf die Lehnen und sah aus wie eine Skulptur. Er saß völlig symmetrisch, Knie nebeneinander, Arme im gleichen Abstand zum Körper, Hände gelöst, das Gesicht ebenmäßig und klug und schmal. Es war eine Ruheposition, die unangreifbare Ruhe eines Menschen, der auf dem Sprung sein musste, und das seit langer Zeit. Die Ruhe eines Wächters. Dann beugte Gregor sich zurück und zauberte ein Glas hervor und stand auf und schenkte Whiskey ein. Den konnte Bettina nicht trinken, wenn sie heute noch heim wollte. Eine Zigarette aber nahm sie an. Sie rauchten, und Gregor trank. Das Glas und die Zigarette durchbrachen die Symmetrie seiner Haltung, was ihn raumgreifender machte, menschlicher und begehrenswerter.
»Ritter mochte mich nie«, sagte er und stand auf, um Bettina andere Gläser zu bringen, für Wasser und Wein. »Wir haben denselben Geschmack, aber er hat viel mehr Geld als ich. Er war immer eifersüchtig. – Bordeaux?«
Bettina war alles recht. »Er war eifersüchtig?«, wiederholte sie. »Bei dem vielen Geld?«
Plopp, zog Gregor den Korken aus einer Flasche. Er sah herüber und lächelte kurz und charmant. »Die Frauen lieben mich, obwohl ich arm bin. Das konnte Ritter nie von sich sagen.«
Und doch hat er deine Bianca, dachte Bettina, sprach es aber nicht aus. Dankbar nahm sie den Wein und versuchte, hübsch auszusehen. Sie lächelte, sie zog ihren Rock gerade, sie sagte: »Und du? Liebst du die Frauen?«
»Na klar.« Er grinste und setzte sich. »Na, nicht alle. Nur die Rothaarigen.« Seine Augen tanzten. Doch ganz plötzlich wurde er sehr ernst. »Ich bin kein Familienvater, Bettina. Das werde ich nie sein.«
Bettina schluckte und probierte den Wein, er schmeckte holzig und herb. »Ich bin auch keine
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