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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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dein Vater mit Corinna Ritrovato getroffen?«
    Als sie aufsah, saß Gregor neben ihr auf der Couch. Er nahm ihr das Buch direkt aus dem Schoß und las selbst. Er starrte die Seiten an und stöhnte. »Herrgott! Mein Vater liebte solche Betrachtungen. Und Zitate. Hier. Alles voll.« Er hielt Bettina das Buch hin. »Jedes Kapitel hat eins als Vorrede. Oder sogar zwei. Das kann man sich nicht alles merken. Ehrlich gesagt, ich hab die meisten nur überflogen. Eine Gnade zu sterben! Kein Wunder, dass die Oberhuber uns eine Bombe geschickt hat.«
     
    * * *
    Lisa träumte. Die Zeit war stehen geblieben. Sie hatte seit Tagen nichts gegessen. Ihr rotes Kleid trug sie nur noch, um den Verfall zu messen. Sie nahm ab. Den ganzen Tag lang. Sie saß im Hotelzimmer und wartete, sie lief auf der Promenade und wartete, manchmal kam Georg und war genervt. Als sei alles ihre Schuld. Als hätte sie diese Ehe mit einem Betrug begonnen. Stumm wurde ihr eine Oberflächlichkeit vorgeworfen, die gar nicht stimmte, sie hatte sich hübsch gemacht, gut, aber sie sprach weit besser Italienisch als Georg, und sie kannte sich mit der römischen Kunstgeschichte aus, sie konnte ihm zeigen und erklären, was er sonst nie wahrgenommen hätte. Wenn er nur wollte. Außerdem hatte sie ihren Mann fraglos arbeiten lassen, er hatte seinen Auftrag gehabt, und an die idealen Flitterwochen glaubte sie doch auch nicht. Vielleicht war das der Fehler. Denn das andere Weib, das Biest, hatte jedes Sentiment unverhohlen bedient, hatte sich mithilfe zweier Kinder und dem Märchen vom fiesen Gatten an Georgs Hals geworfen, und da hing sie nun. Der fiese Gatte hatte das Vernünftigste getan und die Schlampe vor die Tür gesetzt. Nun stand sie täglich mit ihrer Brut vor Lisas und Georgs Hochzeitssuite. Und tat so, als sei Georg deren einziger Bewohner. Das war das Allerschlimmste. Dass Lisa nur schockiert nebendran stehen konnte, wenn jene amputierte Familie aufkreuzte und in aufreibender Selbstverständlichkeit den neuen Vater forderte. Dass ihr sogar der eigene Verlust – ein lumpiger Honeymoon, eine kaum vollzogene Ehe – klein erschien vor diesem Sippendrama, den heimatlosen Töchtern, der verführten Mutter, den dutzendfachen Trennungen und Konsequenzen, die Georg verursacht hatte. Dass absurderweise nun von ihr Vernunft verlangt wurde, stillschweigend, offen, verschämt, ärgerlich und ignorant.
    Vernünftig wäre gewesen, zu gehen.
     
    * * *
    Bettina ging, es war das Vernünftigste. Wenn sie bliebe, hatte sie erklärt, würde sie weitertrinken, und wenn sie weitertrank, würde sie nicht nach Hause fahren können, und wenn sie nicht nach Hause fahren konnte, dann würde demnächst das Jugendamt bei ihr aufkreuzen. Also ging sie. Gregor vermisste sie im gleichen Moment, da sie zur Tür hinausschritt, sie nahm die Spannung mit, die er brauchte, um wach zu bleiben. Als sie draußen war, wurde er müde, trotz des Adrenalins, das er angesammelt hatte, trotz der Unruhe, die ihn sonst zuverlässig umtrieb. Sein Wohnzimmer kam ihm kalt vor ohne das Feuer ihrer Haare. Es stank nach Rauch. Er riss das Fenster auf und hörte sie abfahren. Dann saß er in der eisigen Frühlingsnacht und es wurde nicht besser. Er holte sein Handy und tippte eine Nummer ein. Doch sein Anruf wurde nicht angenommen. Die Angerufene drückte ihn sofort weg, er hörte es am Freizeichen. Noch ein Versuch. Dasselbe. Da schrieb er eine SMS. Die kam an. Vorsichtshalber löschte er sie sofort wieder. Danach schloss Gregor das Fenster und trank Bettinas Wein leer. Ohne zu rauchen. Und schließlich schlief er auf der Couch, wo sie gesessen hatte. Tief und traumlos, wie seit Monaten nicht mehr.
     
    Bettina befand sich im gefährlichen Zustand vermeintlicher Klarheit. Die Straßen waren leer, die Luft erfrischend, ihr Auto die schlichte Verlängerung ihres Körpers. Sie spürte den Asphalt unter sich. Sie rollte, sie beschleunigte, blinkte und bog ab. Sie bediente nicht, sie war. Sie war ein alter, verblichener, unverwüstlicher Ford Taunus in Goldbraunmetallic mit zwei Kindersitzen im Fond. Sie war schäbig, sie war verräuchert, sie war verdammt gut gebaut und inzwischen selten. Vor allem aber funktionierte sie noch. Das genoss sie. Und als sie – viel zu bald – vor ihrer Haustür ankam, da wollte sie gar nicht halten, da hätte sie am liebsten eine elegante Kurve gedreht und wäre verschwunden, mit ihrem Auto in der Nacht. Ein Mann hätte das vielleicht getan. Ein Mann hätte die Kinder ins Heim

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