Die Herzen aller Mädchen
»Ihre Täterin befand sich in einer Stresssituation. In Begleitung einer hohen Polizeifunktionärin mit der Beute in der Tasche auf dem Weg zum Flughafen. Unter solchen Umständen kann jede Provokation zur Krise führen. Das steht in sämtlichen Lehrbüchern. Es sind schon genug Polizisten bloß wegen ihrer Uniform getötet worden.« Befriedigt öffnete die Anwältin den Füller und malte ein Kreuz auf ihren Notizblock. »Frau Boll hat einen Eklat provoziert, aber ihre Schlussfolgerungen müssen deswegen noch lange nicht stimmen. Logisch sind sie jedenfalls nicht.«
»Doch«, sagte Bettina kühl. »Frau Ballier wusste Details aus meiner Unterhaltung mit Herrn Krampe. Die beiden standen in Kontakt. Das geht auch aus seinem Telefonprotokoll hervor. Herr Krampe hat Frau Ballier am Sonntagabend angerufen und angesimst. Das ist erwiesen.«
Sahm-Nickel winkte ab und sah wieder nur Jaecklein an. »Sie haben bloß das Protokoll. Ob es wirklich Frau Boll war, über die man sich austauschte, wage ich zu bezweifeln. Wir kennen die Inhalte nicht. Ballier und Krampe hatten beruflich miteinander zu tun, eng sogar. Da ist es üblich, dass man telefonischen Kontakt hält.«
»Sonntags abends um halb zwölf, kurz nachdem ich Herrn Krampes Wohnung verlassen habe?«
»Wann auch immer.« Sahm-Nickel wandte sich nun doch an Bettina. Ihr Ton wurde sofort gewichtiger, als spräche sie zu einer Person, der man alles deutlich erklären musste. »Details sind dem Täter wurscht, Frau Boll, wenn es darum geht, ob jetzt gleich die Tasche mit der Beute aufgemacht werden muss. Diese Ballier hätte Ihnen alles erzählt. Einfach alles. Die wollte nur noch sicher zum Flughafen chauffiert werden. Sie haben die Diebin enttarnt, dafür hat die Ihren Schwachpunkt getroffen. Sie sind nun mal ganz offensichtlich anfällig für Herrn Krampe.«
Bettina mied Gregors Blick. Ihre Wangen brannten vor Ärger. »Mag sein, aber darum geht es nicht. Die drei, Marc Schneider, Franziska Ballier und Gregor Krampe, sind ein Team.«
»Sind wir nicht«, brach Gregor sein Schweigen. Sowohl seine Anwältin als auch Jaecklein schauten überrascht auf. »Und wir waren es auch nie«, setzte er hinzu. »Warum hast du nicht zuerst mich angerufen?«, fragte er Bettina dann leise. »Du hättest mit mir reden sollen.«
Sie holte Luft. Gregors Vertraulichkeit reizte sie mehr, als sie selbst fassen konnte. »Ihr drei hattet einen gemeinsamen Plan«, fauchte sie. »Habt ihn immer noch. Und er funktioniert ganz gut, hab ich recht? Ist ja egal, ob eine Polizistin draufgeht.« Sie funkelte Gregor an, wütend hauptsächlich auf sich selber. Dieser Ton war albern. Unprofessionell. Jaecklein starrte sie von der Seite an, Sahm-Nickel legte ihren Füller auf den Tisch und verschränkte die Arme.
Gregor schien nichts davon zu sehen. »Hör mal, Bettina. Du hast die Ballier dummerweise gerade auf ihrer Flucht mit deinen Verdächtigungen konfrontiert. Nenn es Pech. Oder wie du willst. Immerhin hast du ja was bewirkt.« Seine Stimme klang dunkel und melancholisch. »Nur meine Rolle hast du dir dazugedacht.«
Bettina konnte nichts sagen. Sie fürchtete, wieder zornig zu klingen.
»Überleg doch«, fuhr Gregor beschwörend fort, »ich war nicht nützlich für diesen Coup. Im Gegenteil. Ballier hätte mit mir teilen müssen, dafür hätte ich die Aktion belastet. Ein schöner Handel. Ich bin seit Monaten der Prügelknabe der Polizei! Ich werde von vorne bis hinten durchleuchtet und an den Pranger gestellt, glaubst du, so jemanden hätte die bei ihrem Raubzug gebrauchen können?«
»Wahrscheinlich hat sie gehofft, wir würden uns in zehn Jahren noch fragen, wie in Gottes Namen du den Diebstahl bewerkstelligt hast, und darum nicht in andere Richtungen ermitteln.«
»Ach komm«, erwiderte Gregor ernst. »So doof seid ihr nicht. Nein, Ballier hat mich ohne mein Einverständnis benutzt. Sie hat diesen Bauarbeiter aus dem Kloster engagiert, der mir ähnlich sieht, um ihn zu dem Diebstahl abzurichten und das Risiko auf mich abzuwälzen. Das ist alles. Das ist logisch. Erkenn das bitte.«
Bettina erkannte es nicht. Aber sie wusste auch keine Antwort. Sie konnte Gregor nur anstarren und blind misstrauen.
Er beugte sich vor. »Wir sind beide reingelegt worden.«
Bettina schüttelte den Kopf.
»Doch. Siehst du das denn nicht, ich war Balliers Sündenbock! Ganz einfach! Gegen diesen Arbeiter ohne Kontakte zur Sammlerszene wäre ich ohne Alibi nie angekommen. Ich schaffe es ja kaum mit! Dass
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