Die Herzen aller Mädchen
weiß nur –«
»Ja?«, fragte es am anderen Ende scharf, und Bettina konnte nicht unterscheiden, ob das Syra oder Ballier gewesen war.
»Er weiß, was passiert ist«, sagte sie und wünschte bei Gott, das könnte sie von sich sagen. Sie ahnte ja nur, dass Schneider mit drinhing, und jetzt also auch Gregor. Schneider war der geheuerte Dieb, Gregor der Verdächtige, dessen skandalöses Alibi ruhig angezweifelt werden durfte, ja sollte, da es doch nie widerlegt werden konnte. Gregor funktionierte als Blender, der alle Ermittlungen auf sich zog und die Polizei lähmte, und Schneider als Unauffälliger, der währenddessen still ausführte. »Der Ovid wurde gestohlen. Gregor war dabei und Schneider tat es. Das Problem war bloß –«
»Was?« Wieder nur diese ausdruckslose Frauenstimme. Bettina fröstelte.
»Das Problem war«, sagte sie langsam, »dass Gregor oder Schneider die Beute nicht behalten konnten. Ihr Risiko war zu hoch. Für Gregor, weil er sowieso unter Verdacht steht, für Schneider, weil er wirklich der Dieb ist. Beide wurden tatsächlich überprüft, ohne Voranmeldung und mit kompletter Haussuchung. Das hatten sie befürchtet und das Buch vorher weggeschafft. An einen sicheren Platz, wo garantiert keiner suchen würde. Daher konnten wir nichts finden.«
»Und wo ist es nun?«, fragte Syra ungeduldig. »Wo?«
Ja, wo?
»Wenn Sie wirklich Straffreiheit für Ihren Gregor wollen, meine Liebe, sollten Sie das jetzt nicht verraten«, mischte Ballier sich ein.
»Franziska!«, rief Syra.
»Erst mit der Staatsanwaltschaft verhandeln«, sprach Ballier trocken. »Entschuldige, Margarete. Die Liebe.«
»Liebe!«, knurrte Syra.
»Denken Sie an Ihre Kinder, Frau Boll«, beschwor Ballier sie durch den Äther. »Die hätten bestimmt gern einen Vater, nicht wahr, Sie sind doch alleinerziehend? Denken Sie an Ihren Gregor. Sie können ihn vor dem Gefängnis retten! Er wird Ihnen ewig dankbar sein. – Müssen«, setzte sie mit einem guten Schuss Spott hinzu.
Der verunsicherte Bettina wieder. Wenn sie sich hier verrannt hatte, nur weil sie nicht glauben konnte, dass ein attraktiver Mann sich für sie interessierte, war dies der letzte Abend in ihrer nicht sehr glanzvollen Polizistinnenkarriere. Und in jüngster Vergangenheit hatte sie sich oft geirrt. Die Ballier war nun mal eine weitsichtige sarkastische alte Dame mit einem Faible für Paare. Und – nicht zu vergessen – die Freundin einer Kriminalrätin. Alles konnte anders gewesen sein. Vielleicht war Schneider nicht der Dieb. Oder er hatte auf eigene Faust gearbeitet. War von Ritter angeworben. Von Marny. Von irgendwem, den sie gar nicht kannte. Bettina fühlte sich übernächtigt und überdreht. Sie war nicht fähig, sofort eine Entscheidung fürs Leben zu treffen.
»Frau Boll!«, rief Syra.
»Jawohl. Das Buch ist bei dem dritten Komplizen.«
»Und der wäre?«, fragte Syra unheilvoll.
»Eine Person, die über jeden Verdacht erhaben scheint«, sagte Bettina, die es einfach nicht aussprechen konnte.
»Ich höre«, sagte Syra.
Bettina krümmte sich. »Ich – wohin fahren Sie beide eigentlich?«
»Ich bringe Frau Ballier zum Flug–«
»War die Nacht mit Gregor wirklich so gut?«, rief Ballier dazwischen. »Möchten Sie das nicht wiederholen? Morgen? Übermorgen? Alle Lust will Ewigkeit, das wissen Sie, Frau Boll, auch wenn Sie Ihre Hundert beliebtesten deutschen Gedichte nicht gelesen haben.«
»Flughafen?«, fragte Bettina.
»Flughafen.« Erstmals hörte Syra sich nachdenklich an. »Sie muss zurück nach Genf.«
Da fing Bettina tatsächlich an zu lachen. Die Anspannung war zu groß. »Na dann«, sagte sie, »dann ist es einfach. Das Buch ist in Ihrem Auto.«
Schweigen. Der Hund begann wie toll zu bellen. Etwas knisterte, das Auto dröhnte. »Franziska!«, rief Syra entsetzt.
»Leg auf«, befahl die.
»A5, Richtung Frankfurter Flughafen, Höhe Walldorf«, sagte Syra stattdessen, vermutlich in ihr Funkgerät. »Kriminalrätin Syra, BKA. Das muss sofort an die Flughafensecurity. Franziska Ballier, bewaffnet mit einer Walther PPK, gewaltbereit, gefährlich, dreiundsechzig Jahre, eins achtundfünfzig, siebzig, na sagen wir fünfundsiebzig Kilo –«
Ein Schuss knallte. »Zweiundsiebzig Kilo«, sagte Ballier kalt. Stöhnen. Der Hund jaulte mit dem Funkgerät um die Wette. Dann quietschte etwas entsetzlich, das Rollen und Jaulen erstarb.
»Frau Ballier, Margarete ist Ihre Freundin«, rief Bettina in dem festen Ton, den sie für solche Gelegenheiten
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