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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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schuldig am Tod seiner Chefin hielt, sagte er nicht. Doch sein gefühlvolles Jungengesicht, das er hier auf der Kriminalwache des Frankfurter Polizeipräsidiums nicht hinter Sonnengläsern versteckte, sprach Bände. Du, bezichtigte es Bettina, bist schuld. Du hast eine Schwerverbrecherin in die Enge getrieben, und das Risiko hast du eine andere tragen lassen. Du hast deine vorgesetzte Kollegin nicht geschützt, nicht einmal richtig gewarnt, du hast einfach drauflosgeplappert, ohne nachzudenken. Und das Gespräch hast du auch nicht aufgezeichnet. Theoretisch könntest du uns Gott weiß was erzählen. Theoretisch könntest du bei Krampe auf der anderen Seite stehen.
    Auf der anderen Seite bei Krampe stand jedoch vorerst dessen Anwältin, eine gepflegte Dame mit eisengrauem Pagenkopf und durchdringendem Blick. Ihr Name war Sahm-Nickel, sie sprach leise und gemessen, hauptsächlich mit Jaecklein, und sie betrachtete Bettina zuweilen recht abschätzig, während sie ihren Mandanten Krampe scheinbar gar nicht beachtete. Alle vier richteten sie sich in einem großen, muffig riechenden Zimmer an einem Resopaltisch ein. Die Frühlingssonne wurde von vergilbten Jalousien abgehalten. Sahm-Nickel und Jaecklein packten viel Papier aus und konferierten geschäftig, Bettina und Gregor dagegen saßen sich an ihren leeren Tischseiten gegenüber und versuchten, den jeweils anderen nicht anzusehen. Jedenfalls nicht direkt. Bettina schielte hinüber, beobachtete Gregor und fragte sich, was diesen Mann ausmachte.
    Er sah gut aus.
    War es so einfach? Eine gerade Nase, ein hübsches Kinn, helle Augen und Haare, all das im rechten Moment bei angenehmer Beleuchtung an einem potenten Typen – und schon schwanden ihre sonst so komplizierten Widerstände?
    Aber nein, dachte Bettina fast widerwillig. Nicht doch. Gregor war ein Mann, dessen Zuneigung kostbar war. (Seine echte jedenfalls.) Ihn umgab Spannung ohne erkennbares Ventil, er war geheimnisvoll, neben seinem Ernst spürte man Leichtsinn, er war einer, dessen seltenes Lächeln wissend und hinreißend und vermutlich des Teufels war, einer, der viel arbeitete, der glänzend begabt war, ohne sich festzulegen, ein Tüchtiger, aber auch ein Zocker auf schwindelerregendem Niveau. Nicht einmal sein Alter sah man Gregor an. Bettinas Dossier verzeichnete fünfundvierzig Jahre, doch neben ihm wirkten Jaecklein und Sahm-Nickel um eine gute Generation älter. Nun wanderte sein Blick rascher über die leere Tischplatte, er schaute auf. Ein wenig verlegen. Er betrachtete Bettina. Dann grinste er vorsichtig. Und Bettina strahlte unwillkürlich zurück und dachte, dass sie dumm war und herzlich naiv und dass es an Gregors Augen lag, lebendigen dunkelgrauen Augen, ganz einfach. Er war der Typ Mann, um den sich alle Mädchen aus der Oberklasse ihres Gymnasiums geprügelt hätten, und warum sollte es ausgerechnet ihr anders gehen?
    »Der Herr Krampe leugnet nach wie vor die Verbindung zur Tatverdächtigen Ballier?«, fragte Jaecklein nun mit offizieller Stimme in diese stumme Annäherung.
    »Ja«, sagte Sahm-Nickel, ohne aufzusehen. Sie machte sich Notizen.
    »Aber die Verbindung zu Frau Boll kann er nicht leugnen.«
    Die Anwältin schaute Bettina an. Alle sahen sie an. Doch Bettina hatte nicht vor, für Gregor zu sprechen.
    »Stimmt«, sagte Sahm-Nickel schließlich.
    »Frau Boll, Sie haben eine Komplizenschaft zwischen Ballier und Herrn Krampe festgestellt und zu Protokoll gegeben. Erläutern Sie das mal näher. Und, Herr Krampe, wir bräuchten dann, wenn’s geht, eine persönliche Stellungnahme.«
    »Die können Sie von mir haben«, sagte Sahm-Nickel und steckte sich ihren Füller hinters Ohr. »Die Anschuldigungen gegen meinen Mandanten sind gänzlich fragwürdig. Sie beruhen nur auf der Zeugenaussage von Frau Boll. Und die ist – mit Verlaub – befangen.«
    Bettina richtete sich auf und vergaß Gregor, zumindest halbwegs. »Das ist nicht wahr. Sie kennen die Tonbandaufnahme von Kriminalrätin Syras Hilferuf. Sie haben den Schuss gehört. Der Mord ist dokumentiert, den können Sie nicht bestreiten.«
    »Wir bestreiten Herrn Krampes Beteiligung.«
    »Frau Ballier hat sie bestätigt.«
    »Die kann Ihnen viel erzählen.«
    »Ihr Verhalten beweist, dass ich recht habe.«
    »Ganz sicher nicht.« Sahm-Nickel nahm den Füller wieder vom Ohr. Sie sprach ausschließlich zu Jaecklein. Die Haarspitzen ihres Pagenkopfes wiesen auf ihn, ihre Nase auch, selbst den Füller hielt sie auf den Mann vom BKA gerichtet.

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