Die Herzen aller Mädchen
wiederholte Bettina langsam. »Sagt sie.«
Jaecklein klopfte seine Hosentaschen ab und zog sein eigenes Mobiltelefon hervor. »Vielleicht ist die Ballier bei den Schneiders untergekrochen.«
»Niemals.«
»Oder die gute Frau will uns prellen. Ballier ist mit der Beute verschwunden, der Mord hat die Schneiders verschreckt, und nun versuchen sie, mit der Masche noch was zu holen.«
»Mag sein«, sagte Bettina. »Aber ich glaube, da ist eben jemand bei ihr zur Tür reingekommen, vor dem sie Angst hat.«
»Schneider ist vor einer guten dreiviertel Stunde entlassen worden«, sagte Jaecklein, ohne darum das Tempo zu steigern oder auch nur den Ton zu verändern. Er stand an der Tür, das Telefon gezückt. »Kommen Sie.«
Es war ein schwarzer Tag. Nun, da eine der Ihren tot war, bei laufendem Funkgerät in aller Öffentlichkeit erschossen, da lief die Arbeit anders ab, da redete man nicht viel. Es war gerade so, als sei das gesprochene Wort die Wurzel allen Übels, als sei schon viel zu viel gesagt worden, als sei Kriminalrätin Syra das Opfer eines Telefongesprächs und nicht einer Kugel geworden. Es mochte Bettinas Schuldgefühl sein, das ihr diesen drastischen Eindruck vermittelte, doch jedenfalls waren die Kollegen schockiert und wortkarg. Als sie in Jaeckleins BMW stieg, stießen zwei Leute von der Kriminaltechnik zu ihnen, die zuvor nicht angefordert worden waren, jedenfalls hatte Bettina das nicht mitbekommen. Aus dem Nichts tauchten sie im Halbdunkel der Tiefgarage auf, öffneten grußlos Türen, hievten Koffer und Werkzeuge in das schwarze Auto, schnallten sich an und warteten stumm aufs Losfahren. Sowie Jaecklein den Wagen gestartet hatte, nahm der Typ, der hinter Bettina im Fond saß, ihr Mobiltelefon an sich. Mit einem gebrummten »Ist es das?« wand er es einfach aus ihrer Hand, klappte gleichzeitig einen Koffer auf, entnahm ihm diverse Apparate und schloss das Handy daran an, öffnete es, inspizierte sein Innerstes, holte Teile heraus und setzte andere ein, ohne dass Bettina einen Sinn darin erkannte. Doch der Mann arbeitete so konzentriert, dass sie nicht wagte nachzufragen, nicht einmal, ob er sich etwa ihre Familienfotos ansah oder Wanzen einbaute. Mitten in dieser Sektion gab das Telefon dann plötzlich Laut. Es klingelte. Einmal, zweimal, der Kollege hielt es Bettina hin: »Achtung Kabel!«
Wieder wurde die Rufnummer nicht übermittelt. Sie drückte den grünen Knopf. Es hallte. Der Kollege hatte auf Freisprechen geschaltet. »Boll, Kriminalpolizei.«
Man hörte ein kurzes Schnaufen, dann sofort den Summton vom Amt. Alle schwiegen. Sanft wurde Bettina das Handy samt Kabel wieder von hinten aus der Hand genommen.
»Das war sie«, brummte der Kollege kurz darauf. »Selber Teilnehmer wie zuvor.«
»Kontrollanruf vom Macker«, vermutete der Techniker, der hinter Jaecklein saß. Und der trat nun doch aufs Gas.
Sie flogen über die Autobahn. Die Sonne blitzte auf den entgegenkommenden Wagen, zum ersten Mal in diesem Jahr war es richtig warm, an den Straßenrändern grünten Bäume. Doch im Innern des schwarzen BMW herrschte Eiszeit. Da knallte die Funkmeldung besonders rein: Geiselnahme in Haßloch. Im Hause eines gewissen Schneider, hieß es. Mascha-Kaleko-Straße. Und dann ging es drunter und drüber. Jaecklein überholte jetzt alles von rechts, was unter hundertdreißig fuhr, dazwischen sprach er konzentriert in sein altmodisches Funkmikrofon, ein Liebhaberteil im Kojak-Stil, und die Funksprüche rissen nicht mehr ab. Marc Schneider sei vom Verhör nach Hause gekommen und habe versucht, über die Bibliothek Kontakt zu Dr. Ritter aufzunehmen, was gescheitert war. Wegen seines aggressiven Tonfalls habe die Mitarbeiterin aus der Bibliothek Verdacht geschöpft und die örtliche Polizei verständigt. Ein Rückruf der Kollegen bei Schneider und eine Überprüfung vor Ort ergaben, dass er tatsächlich mit Gewalt drohte, und zwar seiner Familie gegenüber. Daraufhin war die Einsatzroutine für Geiselnahmen angesprungen. Nun wurden schnell Informationen gebraucht und verbreitet. Bettina erhielt Jaeckleins Handy, schaltete es laut und führte beim Fahren Telefongespräche mit mehreren Kollegen, dazwischen hörten sie über Funk die verschiedensten Theorien: Vera Schneider habe ihren Gatten verraten, nun wolle der sich rächen. Nein, Schneider und Frau hielten zusammen, seien im Besitz des Ovid und verlangten Lösegeld für das Buch. Nein, Schneider könne den Ovid gar nicht haben, der müsse bei
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