Die Herzen aller Mädchen
Auseinandersetzung einen wertvollen Kunstschatz aus der Privatbibliothek des bekannten Unternehmers und Kunstmäzens Dr. Roland Ritter im rheinland-pfälzischen Ramsen gestohlen hat. Es handelt sich dabei um eine Handschrift aus dem 10. Jahrhundert, deren Wert auf mehrere Millionen Euro geschätzt wird. Laut Polizeiangaben wollte der Dieb in Begleitung seiner Familie den Besitzer aufsuchen, um von ihm ein Lösegeld zu erpressen. Bei seiner Fahrt wurde der Familienvater von Beamten aus mehreren Bundesländern verfolgt. Nach einem Streit mit seiner Frau setzte er zunächst seine Tochter an einem Rastplatz aus dem Wagen und tötete kurz darauf seine Frau. Danach flüchtete er zu Fuß und wurde in einem Waldstück unterhalb der A 8 ohne die Handschrift aufgegriffen. Deren Verbleib ist bislang ungeklärt. Polizeiangaben zufolge soll sie im Auto des Täters verbrannt sein, doch Augenzeugen berichten, der Wagen habe lediglich Blechschäden davongetragen. Das vielleicht pikanteste Detail dieses rätselhaften Falls aber ist die unbekannte Herkunft der nun vermissten Handschrift. Sie wurde der privaten Ritter-Sammlung vor anderthalb Jahren als anonyme Schenkung zugestellt. Obwohl ihre Echtheit inzwischen zweifelsfrei bestätigt ist und zahlreiche namhafte Bibliotheken des In- und Auslands Anspruch auf sie erheben, konnte noch keine eindeutige Zuordnung vorgenommen werden. Nach den dramatischen Ereignissen auf der A 8 steht nun zu befürchten, dass ihr Verbleib ein ebenso großes Rätsel wie ihr Ursprung bleiben wird.
Es war wie ein Sog. Sobald sie diesen einen Artikel gelesen hatte, arbeitete Bettina sich wie besessen durch ihren Zeitungsberg. Und am Nachmittag glaubte sie fast selbst, dass die Ovid-Handschrift nicht zerstört sein konnte.
* * *
Am nächsten Morgen erhielt Bettina endlich Nachricht vom BKA. Und was für eine: Ein Bote kam in ihr Büro und brachte einen dicken, versiegelten Umschlag. Die Übergabe war fast feierlich, Bettina musste sich ausweisen, quittieren, und danach traute sie sich kaum, das Kuvert zu öffnen. Natürlich war dessen Inhalt nach all dem Zeremoniell zunächst enttäuschend. Es enthielt einen knappen Brief von Jaecklein, in dem er sich für ihre lange Mail bedankte. Er sprach sich lobend über ihre schlüssige Bombentheorie und die Klärung der Oberhuber’schen Familienrätsel aus. »Leider«, schrieb er dazu, »wird es aber kaum zu einem offiziellen Verfahren in der Mordsache Angelina kommen, da die Verdächtige Elisabeth Krampe nach wie vor im Koma liegt und vermutlich nicht mehr aufwachen wird.« Das Schreiben schloss mit der Aufforderung, ihn anzurufen.
Über die umfängliche Beilage, die er mitgeschickt hatte, verlor er kein Wort. Dass sie ein großartiges Dankeschön war, erkannte Bettina erst, als sie begriff, was genau Jaecklein ihr mit diesem unansehnlichen Papierstapel geschickt hatte. Es handelte sich um die Kopie einer alten BKA-Akte, in der viele Stellen geschwärzt waren. Sie enthielt das mit Schreibmaschine geschriebene Protokoll einer Auslandsobservation aus dem Jahr 1966, offenbar verfasst von einem freien Mitarbeiter der Bundesbehörde, dessen Name überall unkenntlich gemacht war. Auch sein Kontaktmann beim BKA wurde nicht genannt. Es ging um die Beobachtung eines gewissen Krampe, der offenbar nichts weiter verbrochen hatte, als für den Spiegel zu arbeiten. Mehr jedenfalls konnte Bettina den kaum verständlichen ersten Seiten nicht entnehmen. Sie las weiter und erfuhr, dass der namenlose Agent Krampe nach Rom in die Flitterwochen gefolgt war. Dort hatte er sich in dessen Hotel eingemietet und die Unternehmungen des Hochzeitsreisenden überwacht. Vor allem das, was Krampe ohne seine junge Braut tat, interessierte den Agenten. Bald konnte er berichten, sein Kandidat habe sich im einsamen Handschriftensaal einer kleinen Universitätsbibliothek mit einer »Kontaktperson« getroffen. Diese identifizierte er mit etwas Mühe als Corinna Ritrovato, deutsche Gattin von Vespasiano Ritrovato, der wiederum einen Posten als Jurist bei der römischen Militäranwaltschaft bekleidete. Über diese Verbindung zeigte sich der Verfolger spürbar erregt. Sie bewies seine Hypothese: eine Beziehung zwischen Georg Krampe und der Militäranwaltschaft.
Auf den Erfolgsbericht folgten zwei fast gänzlich ausgestrichene Seiten, denen Bettina mit viel gutem Willen den Folgeauftrag des BKA-Agenten entnehmen konnte: Er sollte den Verkauf von militärischen Informationen beobachten und
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