Die Herzen aller Mädchen
Speicher und ein sehr bescheidener Bruch in eine alte Klosterzelle. Im Grunde so simpel, dass er es sich fast selbst ausgedacht haben könnte.« Wieder seufzte Jaecklein. »Das macht es natürlich umso schwieriger, Frau Balliers Rolle in diesem Fall richtig einzuordnen.«
»Und das heißt auch«, sprach Bettina darauf langsam, »dass Marc Schneider die Ovid-Handschrift wirklich bei sich im Auto hatte, nicht wahr? Die echte?«
»Leider ja.«
»Ohne jeden Zweifel?«
»Todsicher. Das Buch ist verbrannt. Ich weiß, die Presse entwickelt schon Phantasien von Fälschungen und geheimnisvollen Kunstdieben am Unfallort, aber es gibt Reste. Und das Blatt, das Schneider rausgeworfen hat, stammt hundertprozentig aus dem Original.«
»Wie schade.«
»Eine furchtbare Verschwendung.«
»Wie geht es Lea Schneider?«
»Mies.«
Bettina seufzte. »Eigentlich rufe ich ja wegen was ganz anderem an. Wegen Ihrer Akte.«
Am anderen Ende blieb es still.
»Sie werden mir nicht erzählen, was unter den schwarzen Balken steht, oder?«
»Frau Boll –«
»Wo es doch eigentlich kein Geheimnis ist, dass im Jahr 1966 ein gewisser Aktenschrank der römischen Militäranwaltschaft für kurze Zeit geöffnet wurde. Ein bemerkenswerter Schrank. Er hat sogar einen Namen.«
Jaecklein seufzte.
»Armadio della vergogna. Auf Deutsch Schrank der Schande. Er stand von 1960 bis 1994 vergittert und mit der Tür zur Wand im Keller des Palazzo Cesi und war voller Akten über Nazi-Kriegsverbrechen.«
»Ich wusste, es war ein Fehler, Ihnen einen Text mit unkenntlichen Stellen zu schicken«, sagte Jaecklein. »Aber mehr werden Sie von mir nicht kriegen.«
»Was ich erfahren habe, ist allgemein bekannt. Es steht sogar bei Wikipedia.« Bettina dachte wieder einmal an Ballier.
»Das bezweifle ich nicht.«
»Ich kann raten und Sie hören zu«, sagte Bettina.
»Ihre Standardmethode«, sagte Jaecklein, aber ohne Bitterkeit in der Stimme. »Bei mir wirkt die nicht. Dazu sage ich nein, Frau Boll. Wir beide werden darüber nicht reden.«
»War es Theo Saevecke, der Krampes Überwachung angeordnet hat?«, fragte Bettina rasch.
»Ich –«
»Von Saevecke existierte eine Akte im Schrank der Schande. Wegen der wurde er sogar verurteilt. Irre, dass das erst ’99 passiert ist.«
Jaecklein sagte nichts.
»Das Urteil kann ihn nicht groß geschockt haben«, sprach Bettina provokant, »denn es wurde in Turin gesprochen und wir liefern ja nicht aus.«
»Saevecke ist ein Jahr später gestorben«, ließ Jaecklein sich zu einer Antwort hinreißen.
»Jedenfalls war er BKA-Beamter. Vielleicht hat er von seiner Akte in diesem Schrank gewusst. Geahnt hat er sicher, dass es so etwas gab. Und auf jeden Fall hatte er Feinde beim Spiegel.«
Jaecklein schwieg.
»Ist es nicht verrückt«, fuhr Bettina fort, »dass Saevecke mit seinem Vorleben als SS-Mann und Chef der Mailänder Gestapo und einem Orden fürs Verfolgen tunesischer Juden nach dem Krieg Leiter des Referats für Hoch- und Landesverrat beim BKA werden konnte?«
»Ich hab ihn nicht eingestellt«, knurrte Jaecklein. »Das ist alles längst bekannt und aufgearbeitet, Frau Boll. Und es ist sehr lange her.«
»Doch Sie schwärzen immer noch die Akten.«
»Weil – ich hätte sie Ihnen nicht schicken müssen.«
»Haben Sie aber.«
»Sie haben mir geholfen«, gab Jaecklein zu. »An dieser Bombensache hätte ich noch ewig gehangen. Dass die Ehefrau das Paket an die Rivalin aufmachte, hätte ich nie erkannt. Das konnte nur eine Frau sehen.« Er sagte es herausfordernd, eine Frauenkiste, nix für echte Kerle – ein Ablenkungsmanöver. »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet.«
»Es war also Saevecke?«, fragte Bettina unbeeindruckt.
Jaecklein holte tief Luft. »Das haben Sie nicht von mir. Es liefen hierzulande übrigens einige Verfahren gegen ihn, und die wurden allesamt eingestellt. Es gibt solche Typen, die schlüpfen durch alle Maschen. Da hat nicht nur die Urteilskraft seiner Vorgesetzten beim BKA versagt. Das waren viele verschiedene Urteile. Und soviel ich weiß, hat die CIA Saevecke großzügig entlastet.«
»Die Italiener hingegen haben ihr belastendes Material in einen Schrank gesperrt, den zur Wand gedreht und im Keller der Militäranwaltschaft eingegittert. Eigentlich ist das fast verrückter.«
»Schuld«, sagte Jaecklein kryptisch und es hörte sich an wie ein Achselzucken.
»1966 kam sie kurz mal wieder in Mode«, sprach Bettina. »Vielleicht sogar – was ja ein Hohn wäre – aufgrund der
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