Die Herzen aller Mädchen
Spiegel-Affäre . Ich kann mir gut vorstellen, dass Journalisten, die wegen eines einzigen Artikels über das Verteidigungspotenzial ihres Landes im Knast landen und zusehen müssen, wie ihre Redaktion wochenlang von der Polizei belagert wird, anfangen, in der Vergangenheit ihrer Verfolger zu suchen. Saevecke hat damals die polizeilichen Aktionen geleitet.«
»Frau Boll«, sagte Jaecklein. »Saevecke hat als Polizist ausgeführt, was in der Politik beschlossen wurde, und außerdem die Arbeit eines anderen gemacht. Sein Chef war gerade nicht da und hat ihm später die gesamte Verantwortung zugeschoben.«
»Oh«, sagte Bettina. »Der Arme. Jedenfalls ist es doch möglich, dass diese Affäre eine Art Welle ausgelöst hat. Einen Volkszorn. Peinliche Vergangenheiten aufspüren und so weiter. Das Ganze ist nach Italien geschwappt und die erinnerten sich wieder an ihren alten Schrank im Keller des alten Palazzo. Sie öffneten das Möbel und begannen einen Teil der Akten aufzuarbeiten. Vermutlich konnte das jeder mitbekommen, der sich dafür interessierte.«
»Wie auch immer«, sagte Jaecklein.
»Die Leute vom Spiegel hätten sicher was drum gegeben, einen Saevecke in die Pfanne zu hauen.«
»Angeblich hat er dem Redakteur, den er festnehmen ließ, Hafterleichterungen verschafft.«
»Das hat den bestimmt sehr dankbar gemacht.«
»Vielleicht schon.«
»Ich denke«, sagte Bettina, »ich kann die schwarzen Stellen rekonstruieren.«
»Natürlich«, sagte Jaecklein.
»Vermutlich wusste Ihr Geschwärzter gar nicht, dass er eigentlich einen Privatauftrag ausführte, denn er legte treu und brav eine Akte darüber an. Oder er war ein so linientreuer Altnazi, dass er es sogar rechtens fand, im Auftrag des BKA für einen Kriegsverbrecher zu arbeiten.«
Jaecklein sagte nichts.
Bettina wartete eine Weile. Sie würde nie den Hauch eines Beweises haben, wenn Jaecklein das nicht zugab.
Er tat es selbstverständlich nicht.
»Doch was auch immer damals geplant war«, sagte sie schließlich, »es ist schiefgelaufen. Krampe hat es versaut. Das Dokument, das er dem Spiegel besorgen sollte, hat er nicht bekommen. Dafür hat er seine Flitterwochen geopfert, sich in ein Buch verliebt, eine Affäre mit der Frau seines Mittelsmannes begonnen, seinen Auftrag vergessen und ein tragisches Chaos ausgelöst.«
»Und genau darum«, sagte Jaecklein, hörbar entschlossen, jetzt wirklich einen anderen Ton anzuschlagen, »hat er danach Romane geschrieben.«
»Meinen Sie?«
»Ich setze sogar noch einen drauf und behaupte: Nur weil er im wirklichen Leben gescheitert ist, war er als Autor so gut.«
»War er denn gut?«
»Na klar«, sagte Jaecklein, ohne zu zögern. »Haben Sie seine Thriller etwa nicht gelesen? Als Jugendliche?«
»Ich kenne nur den von Anna Oberhuber.«
Jaecklein stöhnte. »Wissen Sie was«, sagte er dann, »Sie haben doch Kinder. Denen schicke ich demnächst mal ein echt cooles Buch.«
An diesem Abend fuhr Bettina wieder nach Frankfurt, um Elisabeth Krampe zu sehen. Auf der Intensivstation jedoch hatte sie keinen Erfolg. »Frau Krampe ist nicht mehr da«, sagte die Schwester am Empfang kühl. Bettina konnte nicht erkennen, ob es dieselbe war, die beim letzten Mal am Bett der Verletzten mit ihr gesprochen hatte.
»Ist sie tot?«, fragte sie.
Entrüstet sah die Schwester auf. »Verlegt. Sie ist aufgewacht. Gestern schon.«
»Oh«, sagte Bettina.
»Das haben wir Ihnen aber längst mitgeteilt«, sagte die Schwester mit streitsüchtigem Blick auf Bettinas Dienstausweis.
Die hatte keine Lust, sich zu rechtfertigen. »Wo ist sie?«, fragte sie nur.
Und die Schwester musterte sie böse. »In der Geschlossenen. Wissen Sie doch.«
Als sie im Aufzug stand, drückte Bettina den Knopf fürs Erdgeschoss. »Ausgang« stand breit daneben. Sie hatte nicht vor, mit Elisabeth Krampe zu reden. Vielleicht wollte sie insgeheim Gregor begegnen, doch nicht am Bett seiner Mutter in der geschlossenen Abteilung. Ihre eigenen Absichten narrten sie zuweilen, doch nicht so sehr.
Sie fuhr nach Hause. Und tags darauf begann sie, in Ermangelung eines anderen Plans, ernsthaft nach der Mona Lisa zu suchen.
Fünfzehn
»Jaecklein.« »Boll.«
»Oh. – Hallo, Frau Boll.« Wieder klang die Stimme des Kollegen durchs Telefon erfreut, was Bettina mit vager Hoffnung erfüllte. Vielleicht konnte sie ihr Anliegen durchbringen. »Herr Jaecklein, möchten Sie Frau Ballier sprechen?« »Haben Sie sie gerade da?« »Ich weiß, wie wir sie finden
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