Die Herzen aller Mädchen
Selbstverständlichkeit. »Wozu bist du schließlich Polizistin.«
Am nächsten Tag saß Bettina mit so frustrierter Miene vor ihrem Laptop, dass sogar Nessa Kaiser aufmerksam wurde. Sie blickte Bettina an, rollte ihre rot gefärbten Haare im Nacken zusammen, wie Bettina es selbst immer tat, und fragte: »Was ist denn mit dir los?«
»Ich komm nicht voran.«
»Aber du musst doch nur noch Berichte schreiben. Ich dachte, eure Soko wird aufgelöst.« Nessas Blick fiel auf die vielen Zeitungen, die sich auf Bettinas Schreibtisch stapelten. Sie enthielten die gesammelten Pressestimmen zum Fall Schneider. Entführung, Familiendrama, geheimnisvoller Kunstschatz – das gab viel her. Die Gerüchte kochten, da nutzte es kaum, Polizeimeldungen über die genaue Herkunft und die erwiesene Zerstörung des Ovid-Manuskripts herauszugeben.
»Wo diese alte Handschrift doch verbrannt ist.«
»Ich frag mich nur, wieso«, sagte Bettina unzufrieden.
»Wieso was?«
»Der Ovid verbrannt ist. Je mehr ich drüber nachdenke, desto verrückter finde ich es. Erst wird das Buch gesichert wie die nationalen Goldreserven, man baut ihm eine eigene Bibliothek – die müsstest du mal sehen! Mit Pergamentklima und allem – und dann geht es einfach kaputt bei einem dummen Unfall, verursacht von einem aggressiven Idioten ganz ohne Plan.«
Nessa lächelte fein. »Das ist so mit Männern.«
»Nein«, sagte Bettina.
»Lies ein beliebiges Geschichtsbuch«, sprach Nessa.
Bettina verdrehte die Augen. »Das hier ist was anderes. Das Buch war am falschen Platz, bei dem kleinen geheuerten Dieb, wo es bei der klugen Drahtzieherin hätte sein müssen. Oder es war doppelt. Frau Ballier ist mit dem Ovid geflohen. Anders kann es nicht sein.«
»Vielleicht war das verbrannte Buch gefälscht«, sagte Nessa.
»Eben nicht«, sagte Bettina verbittert. »Es war echt.«
»Hm«, machte Nessa.
»Genau das meine ich«, sagte Bettina. »Und dann unser BKA. Die wussten so ungeheuer viel. Wo der Ovid her war, die ganzen Verwicklungen um diese Wahrsagerin und so weiter, und jetzt lösen sie einfach die Soko auf und tun so, als wäre nichts gewesen.«
»Wenn ein Kunstschatz zerstört ist, muss man ihn auch nicht mehr suchen«, sagte Nessa bedeutungsvoll.
»Ach!«, sagte Bettina. »Nein. Die geben bestimmt keine falschen Polizeimeldungen heraus. Die sind nur betroffen und stinksauer, weil eine ihrer besten Ermittlerinnen ermordet wurde. Und faul sind sie auch nicht. Aber sie reden nicht mit mir.« Obwohl ich ihr Bombenrätsel gelöst habe, setzte sie innerlich hinzu.
Nessa betrachtete sie mitfühlend. »Willst du vielleicht mit mir rausfahren nach Bad Dürkheim? Brandstiftung in einer Villa?«
Bettina schüttelte den Kopf. »Diese Morde waren alle so sinnlos.«
Nessa zog die Brauen hoch.
»Sinnloser als gewöhnlich.«
»Dann musst du die Gründe eben suchen. Du hast doch die Akte vor dir.«
»Was glaubst du, was ich seit Wochen tue.«
»Okay.« Nessa seufzte und blickte zur Tür. Sie war geschlossen. »Ich verrate dir meinen Trick. Aber nicht lachen! Und wehe, du sagst es weiter!«
»Nie.«
»Mach die Augen zu.«
Bettina folgte.
»Jetzt denk an eine Begebenheit aus deinem Fall. Egal welche, aber es muss eine konkrete sein. Okay?«
Bettina dachte an ihr Telefongespräch mit Syra und Ballier.
»So«, sagte Nessas Stimme aus dem Off. »Und jetzt musst du ehrlich sein.«
»Gut.«
»Sag ein Wort, das dir dazu einfällt. Nur eins.«
»Gregor«, sagte Bettina spontan und öffnete die Augen.
Nessa räusperte sich. »Noch ein Versuch.«
Bettina ließ die Augen offen. »Mona Lisa.«
»Gut«, sagte Nessa. »Das ist doch schon was.« Sie erhob sich. »Jetzt finde die Mona Lisa.«
Nessa fuhr nach Bad Dürkheim und Bettina suchte sich im Internet eine Reproduktion der Mona Lisa. Die Gioconda lachte sie aus. Eine Weile ließ Bettina das zu, dann schob sie entnervt ihr Laptop von sich fort und nahm die nächstbeste Zeitung von ihrem Stapel. Sie erwischte den Mannheimer Morgen und las:
Familiendrama entpuppt sich als Artnapping
Geheimnisvoller Kunstschatz auf
mysteriöse Weise verschwunden
Das tragische Familiendrama vom Dienstag letzter Woche, in dem eine neununddreißigjährige Frau von ihrem Ehemann auf der A 8 vor einen Lastzug gestoßen wurde (wir berichteten) hat eine rätselhafte kriminelle Vorgeschichte. Inzwischen wurde bekannt, dass der Ehemann kurz vor der tödlichen
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