Die Herzen aller Mädchen
Tische weiter. Einmal sah er zu ihr herüber, und sie fürchtete, er habe sie entdeckt, doch sein Blick ging durch sie durch, während er mit seinem Tischnachbarn sprach.
Am Mittwoch fuhr er in die Frankfurter Innenstadt zum Polizeipräsidium. Bettina folgte ihm nicht hinein. Vermutlich ging es um seine Mutter.
Am Donnerstag verließ er den ganzen Tag über die Wohnung nicht, außer einmal, um einzukaufen und einen Kaffee zu trinken. Nachmittags gegen drei dachte Bettina, dass ihre lückenhafte Soloüberwachung scheitern musste , gar keine Frage, das war keine Polizeiarbeit, sondern Voyeurismus und krank. Noch dazu vernachlässigte sie wieder mal ihre Kinder, für einen Fall, der längst abgeschlossen war, und einen Mann, dessen Anrufe sie ignorierte. Draußen regnete es Bindfäden und im Auto war es schrecklich kalt. Sie wollte heim.
Da sah sie, wie eine Gestalt im grauen Mantel und mit einem kleinen Koffer in der Hand Gregors Haus verließ. Der Mann sah eilig aus. Und er steuerte auf Gregors Auto zu. Sie sah auf die Uhr: fünf nach drei. Wenn er jetzt wieder nach Mainz fuhr und sie ihm sinnloserweise folgte, würde sie zu spät kommen, um ihre Kinder abzuholen. Doch der Koffer in Gregors Hand bewog sie, ihr altes Auto ein letztes Mal auf seine Spur zu setzen. Und diesmal fuhr Gregor zum Flughafen.
Bettina sah den riesenhaften Komplex zum ersten Mal. Er war kein einzelnes Gebäude, nichts, was man als Ganzes erfassen konnte, eher ein System aus vielen geheimnisvoll beschrifteten Zugängen, von denen man den richtigen wählen musste, um sich im Innern nicht sofort zu verlieren. Bettina folgte Gregor und verlor sich nicht. Sie schaffte es sogar, ihr Auto im selben Parkhaus wie er zu parken. Dann schritt sie ihm nach durch graue Gänge, die sie schließlich in eine riesige Halle brachten. Es war ein glasgefasster, feierlicher Raum, in dem alles, was sich notgedrungen der menschlichen Größe anpassen musste, wie Spielzeug wirkte. Eine Menge Winkel und Ecken gab es trotzdem. Gregor steuerte verschiedene Schalter an, gab etwas Gepäck auf und betrat dann einen kleinen braunen Coffee-Shop mit dem Namen The Myrtle Tree. Bettina zögerte erst, zu folgen.
Doch fünf Minuten später stand sie neben Gregor.
Er saß in einer gepolsterten Bank, die etwas von einem Séparée hatte. Vor ihm befanden sich eine Zeitung, die er nicht las, und ein Kaffee, den er nicht trank. Dass Bettina den Raum betreten hatte, mochte er bemerkt haben, vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls hob er den Kopf erst, als sie seinen Tisch mit den Fingerspitzen berührte. Überrascht wirkte er kaum. Eher angespannt. Und gegen seinen Willen erfreut. Da war so ein Leuchten in seinen Augen, das er nicht unterdrücken konnte, auch wenn sein Mund schmal blieb. »Bettina«, sagte er.
Sie setzte sich.
»Ich würde mich glatt freuen, dich zu sehen, wenn ich wüsste, wie du mich ausgerechnet hier gefunden hast«, sagte er unruhig.
»Polizeiarbeit«, sagte Bettina, die spürte, wie das Strahlen aus seinen Augen auch die ihren erfasste. »Langweilige, schmutzige Polizeiarbeit.«
»Langweilig, schmutzig und effektiv«, sagte Gregor. Er spähte über Bettinas Schulter nach draußen. »Wo sind deine Gorillas?«
»Hab ich nicht.«
Er blickte zweifelnd.
»Mist, wenn man dem anderen nicht trauen kann, nicht?«, fragte sie.
Seine Augen schätzten Bettina ab. Freundlich und aufmerksam. »Okay«, sagte er dann: Ich traue dir.
»Ich brauche keine Gorillas«, warnte Bettina.
»Ich weiß. Du bist Catwoman.«
Sie lächelte. »Ich bin eine ganz gewöhnliche Schnüfflerin. Ich habe sogar deinen Notizkalender gelesen. Am Morgen. Nach – du weißt schon.« Sie räusperte sich. »Damals hab ich mich gefragt, was du eigentlich in Italien wolltest, so kurz vor dieser Party und mitten in einer polizeilichen Untersuchung.«
»Ein Buch kaufen«, sagte Gregor automatisch, dann blickte er auf. »Sag du es mir: Was wollte ich dort?«
Sie seufzte. »In deinem Notizkalender stand für diesen Tag der Eintrag Mona Lisa.«.
»Ach was.« Gregor fixierte Bettina grimmig, während er seine Tasche öffnete und den Kalender herausholte. »Das war der wievielte?«
»Der siebzehnte.«
»Stimmt. In der Tat. Mona Lisa.« Er schlug das Buch wieder zu. »Du wirst es nicht glauben, aber dieser Eintrag ist inzwischen stadtbekannt. Alle deine Kollegen haben ihn gelesen. Mach dir also keine Sorgen wegen deiner Integrität.« Er funkelte sie an.
»Doch«, sagte sie ernst. »Ich schäme
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