Die Herzen aller Mädchen
mit einem Tisch drin. An Geld fehlt’s hier wahrlich nicht.«
»Das war mal das Refektorium«, vermutete Willenbacher. Er sah zu salopp gekleidet aus in dem edlen Raum, seine Jacke war olivgrün mit einem riesigen roten Kreuz drauf, das war jetzt der letzte Schrei. Willenbacher, der Lebensretter. Der Berner Sennenhund. Von wegen, dachte Bettina. Von wegen.
»Vielleicht war’s doch keine so gute Idee, mit reinzukommen«, sagte er. »Wir sollen hier schließlich keine Freundschaften schließen.«
»Wir machen uns ein Bild«, erwiderte Bettina. »Wo wir schon mal da sind. Wir sehen uns alles an, was wir gezeigt kriegen.«
Marny erschien mit einem Teewagen voll silbernem Geschirr. »So«, sagte sie munter. »Wer mag geschäumte Milch?«
Bettina ließ sich Zucker in den Kaffee geben und erkundigte sich nach dem berühmten Ovid-Manuskript.
»Es ist wunderbar«, sagte Marny und zog dabei die Nase ein wenig kraus, was sie noch viel hübscher machte, »wirklich etwas ganz Besonderes. Ein Schatz. Ich hab es einmal sogar im Original gesehen.«
Darauf wollte Bettina hinaus. »Können Sie es uns zeigen?«
Marny blickte belustigt. »Nein.«
»Dieses Buch ist Ihnen anonym gespendet worden.«
»Ja.«
»Wie lief das ab?«, fragte Bettina, obwohl Willenbacher sie inzwischen informiert hatte: Das wertvolle Stück war vor gut einem Jahr in einem einfachen Pappumschlag nach Rosenhaag geschickt worden, zu einem Zeitpunkt, da der Umbau des Klosters gerade erst begonnen hatte.
»Nun«, sagte Marny, »das war im Februar vor einem Jahr. Da kündigte Dr. Ritter in der Presse an, dass die Ritter-Sammlung hier ein neues modernes Gebäude bekommen würde. Und jetzt nach der Renovierung ist es eins der sichersten und technisch aufwändigsten Bibliotheksgebäude überhaupt. Hier bei uns sind wertvolle alte Werke geschützt und zugänglich zugleich. Wir haben einen modernen Katalog, große Datenbanken, und im Sommer werden wir so weit sein, das Gebäude zur öffentlichen Benutzung freizugeben. Wir vermuten, dass der Spender von unserem Konzept einfach überzeugt war.«
Von eurem vielen Geld, dachte Bettina mit Blick auf die versilberte Kaffeetasse. »Aber wieso anonym?«, fragte sie.
acken.«
Marny zuckte elegant die Schultern und legte den Kopf schräg. »Keine Ahnung.« Sie leistete sich keine Spekulation.
»Ist es nicht wertvoll, dieses Buch? Hätte man dafür keinen hohen Erlös erzielen können?«
»Das kommt drauf an«, antwortete die junge Frau freundlich. »Es war unbekannt und musste erst geprüft werden. Expertisen sind teuer. Außerdem ist der Markt für alte Handschriften überschaubar. Die meisten sind unverkäuflich. Das ist wie mit –« Suchend sah sie sich in dem kahlen Raum um, bis sich ihr Gesicht erhellte. »Nehmen Sie den Speyrer Dom. Sie könnten vielleicht seinen korrekten Wert ermitteln, aber versuchen Sie mal, ihn zu verkaufen.«
»Den Speyrer Dom kann man nicht in ein Pappkuvert p»Ein Buch ist ein Gedankengebäude«, sagte Marny in heiligem Ernst.
»Das Sie mit vier realen Schlössern sichern«, erwiderte Bettina.
Darauf grinste Marny, ihre kleine Nase kräuselte sich lustig, und Bettina fragte sich plötzlich, wofür diese Frau bezahlt wurde. Sie sah selbst aus wie ein Liebhaberobjekt, charmant, gebildet, aber nicht den ganzen Raum füllend, ein Mensch mit Platz für andere, für Rätsel. »Sie haben recht«, sagte sie, »aber dieses Buch ist wirklich was Besonderes. Und jetzt, wo bald jeder seine Schönheit sehen kann und soll, da muss es geschützt werden. Inzwischen würde es vermutlich einen angemessenen Preis erzielen. Es hat das Zeug zum Star.« Wieder zog sie die Nase kraus. »Es ist sexy.« Sie lächelte, schritt zum Tisch und nahm von einem kleinen Papierstapel, der vornehm ganz in der Mitte lag, ein schmales, hochglänzendes Faltblatt. »Leider kann ich es Ihnen nicht zeigen, aber Sie dürfen gern den Prospekt ansehen.«
Willenbacher nahm das Faltblatt, klappte es auf und pfiff durch die Zähne.
»Was steht denn drin in dem Buch?«, fragte Bettina. Sie stand am Fenster mit dem kahlen Wald im Rücken. »Es ist von Ovid, das weiß ich, aber außer seinem Namen kenne ich nichts von dem.«
Willenbacher blickte auf. »Ein Dichter aus der frühen römischen Kaiserzeit. Er hat uns die gesamte antike Mythologie überliefert. Die Metamorphosen.«.
Bettina schüttelte den Kopf.
»Aber lesen Sie zuerst Ars amatoria. Die Liebeskunst.« Marny schenkte Bettina einen verschwörerischen Blick und
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