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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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Stunden auf Sie.« Eine junge Frau, nachlässig in einen schmutzigen Cordherrenmantel gehüllt, stand nun mit verschränkten Armen vor ihnen. »Sie sind doch von der Polizei, oder?«
    »Ja. – Boll. Kriminalpolizei.« Bettina reichte der Frau die Hand, die sie kurz und kräftig schüttelte.
    »Marny. Sind Sie allein?«
    »Der Kollege Willenbacher und ich, ja.«
    »Vom BKA?«
    »Nein«, sagte Bettina. »Wir sind auch mit den Kollegen hier verabredet.« Sie warf einen unwillkürlichen Blick auf das schwarze Geschoss. »Und Sie? Gehören Sie zur Genfer-Herold- Versicherung?«
    Marnys Blick folgte Bettinas zu dem Auto. Sie lächelte fein. Der Genfer Herold mag verdammt gut zahlen, sagte dieses Lächeln, aber nicht so gut. »Ich bin eine Privatangestellte von Dr. Ritter.«
    »Der Finanzier der Bibliothek und Besitzer des Gebäudes«, sagte Willenbacher sofort halblaut zu Bettina.
    Und des Autos, dachte die. »Ist er auch hier?«
    Das zauberte echtes Amüsement in Marnys Gesicht. »Im Moment nicht.« Es klang, als pflege Dr. Ritter nur mit einer Leibgarde aus hundert musizierenden Jungfrauen zu erscheinen. »Möchten Sie nicht reinkommen?«
    »Tut uns Leid«, sagte Bettina mit ehrlichem Bedauern. »Wir warten auf die Leute vom BKA.«
    Nach einer Stunde und etlichen Telefongesprächen, mit denen sie nur die Einsatzzentrale, nicht aber das BKA erreichten, war die Laune im kalten Twingo auf den Nullpunkt gesunken. Da klopfte Marny an Willenbachers Fenster. Er kurbelte herunter.
    Frierend beugte sich die junge Frau herab. Ihren Mantel hatte sie sehr eng und dekorativ um sich gezerrt. »Mögen Sie vielleicht warmen Kaffee? Hm?«, lockte sie.
    Sie mochten.
     
    * * *
     
    Der Postbote war neu.
    »Ich möchte, dass Sie klingeln«, sagte Elisabeth Krampe atemlos, sie hatte den ganzen Morgen auf der Lauer gelegen, um ihn abzupassen, und nun stand er halb abgewandt und mürrisch an ihrem Gartentor, den Blick auf sein Fahrrad gerichtet. »Hat Ihr Kollege Ihnen das nicht gesagt?« Mühsam bückte sie sich, um den Briefkasten am Tor zu öffnen. Er klemmte.
    Der Bote versuchte zu verschwinden. Er murmelte etwas und bewegte sich fort.
    »Halt!«, rief Elisabeth. »Bleiben Sie mal da!«
    Der junge Mann wandte sich unwillig zurück.
    »Ich möchte die Post sehen, bevor ich sie annehme«, teilte Elisabeth ihm über den Zaun hinweg mit. »Ich bin prominent. Ich bekomme manchmal Briefe von Verrückten, und ich bin kein Freund von Verrückten.«
    Der Bote blickte sie unverschämt an.
    »Drohbriefe«, setzte sie hinzu.
    Der junge Mann nickte ungläubig.
    »Ist Ihr Kollege in Urlaub?«, fragte Elisabeth ohne viel Hoffnung, sie hatte den alten Briefträger schon wochenlang nicht mehr gesehen.
    »Nein«, sagte der neue. »Er ist zu Hermes gegangen.«
    »Ach je«, sagte Elisabeth. »Also, ich nehme keine Postkarten an, egal von wem, können Sie sich das merken?«
    Der Postbote sah genervt aus und sagte nichts.
    »Und keine Briefe ohne Absender.«
    »Briefe ohne Absender kann ich nicht zurückschicken«, entgegnete der Postbote. »Die müssen Sie selbst entsorgen. Und Postkarten auch.«
    »Ich nehme sie nicht an«, sagte Elisabeth bestimmt.
    »Wenn Sie meinen«, sagte der Postbote, schwang sich auf sein Rad und ließ sie stehen.
    Aufgebracht blickte sie ihm hinterher. Dann riss sie mit einem Ruck, der ihr schmerzhaft in die Bandscheiben fuhr, den Briefkasten auf und sah die Post durch. Rechnungen, ein Buchprospekt, eine Einladung zu einer Lesung, und dazwischen, gut versteckt, die Postkarte. Als hätte sie es geahnt. Elisabeths Atem ging rascher, als sie das glänzende Bild betrachtete: ein Strand, ein Himmel, ein Meer. »Mille saluti del Lido di Ostia« stand grünweißrot darüber. Ostia. Mit zitternder Hand öffnete Elisabeth den vereisten Deckel ihrer Mülltonne, um die Ansichtskarte, wie vom Postmann empfohlen, selbst zu entsorgen. Aber zuvor drehte sie die Karte eben doch um. Und natürlich stand dort etwas in Bleistift auf dem Grußfeld. Munus habe caelum: caelo spectabere sidus, las Elisabeth, ohne den Sinn zu begreifen. Vorerst sah sie nur die kleine, enge, pingelige Schrift, das mädchenhaft Runde der Buchstaben, in all den Jahren hatte diese Schrift sich nicht geändert, sie war kindlich geblieben. Und natürlich der Bleistift, immer musste mit Bleistift geschrieben werden. Elisabeth fröstelte. Trotzig warf sie die Postkarte in den Müll. Doch die lateinische Botschaft konnte sie nicht mit entsorgen. Die hatte sich in ihrem Gedächtnis

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