Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
Vom Netzwerk:
ungewöhnlich, Umlaufmappen bekam sie normalerweise nur dann, wenn Urlaube eingetragen oder Geburtstagskarten unterschrieben werden mussten. Sie schlug auf und fand als Erstes die sauber ausgedruckte Stellungnahme von Gregor Krampe zum Sprengstoffanschlag auf seine Mutter. Dann die Aussagen der Nachbarn. Fotos aller Passanten. Die vorläufige Analyse der Brandspezialisten von der Feuerwehr. Vermutungen des polizeilichen Pyrotechnikers zum Aufbau der Bombe. Elisabeth Krampes Krankendiagnose, eine Beschreibung ihrer finanziellen Situation, Familienstand und Lebensläufe aller Beteiligten, kurz: eine komplette, lesbare Akte zum Stand der Dinge. Und die entlockte Bettina doch glatt ein kleines Lächeln, das erste echte dieses Tages. So einen Luxus hatte sie noch nie erlebt. Hier vor ihr lag die Essenz der Arbeit vieler Kollegen, das, was sie selbst sonst mühevoll zusammentragen musste, was ihr niemals in geordneter Papierform begegnete, sondern nur als Sammelsurium von Dateien, die sie sich aus dem Computer ziehen oder schlicht selbst schreiben musste.
    »Das hat Hauptkommissar Härting vorhin gebracht«, bemerkte Kaiser etwas säuerlich und zupfte ein winziges Unkräutchen aus dem Topf ihres Drachenbaums.
    Bettina starrte sie an. »Der Chef selbst?«
    »Er sagte, die Dame vom BKA wünscht, dass Sie auf dem Laufenden bleiben.«
    »Wow.« Bettina sank in ihren Stuhl zurück. »Hat er sonst noch was gesagt?«
    »Er hofft, Sie würden sich das noch mal überlegen mit der Halbtagsstelle«, sprach Kaiser mit Verachtung.
    »Ha!«, sagte Bettina und erhob sich. »Ist er noch da?«
    »Ich glaube schon«, sagte Kaiser.
    Bettina grinste ihr zu und verließ das Büro. Es war ohnehin mit Drachenbäumen verseucht. Doch das machte nichts. Bald würde sie ein Laptop haben und draußen auf der Parkbank arbeiten können, wenn sie wollte. Sie würde eins kriegen. Das fühlte Bettina genau. Und wenn Härting ihrem Arbeitsmittelantrag zugestimmt hatte, dann würde sie heimgehen und aufräumen.
     
    * * *
     
    Lisa träumte. Eine salzige Brise umfing sie. Das Wasser roch brackig. Die Sonne brannte. Unruhe erfasste sie. Sie musste weg hier, sofort. Sie hatte Angst. Schreckliche, drängende Angst. Und die blieb, auch als Wind, Wasser und Sonne verblassten.
    Vier
     
    Der nächste Morgen war so strahlend hell und gleißend, wie es nur ein früher Aprilmorgen sein kann, wenn die Natur noch kahl ist. Licht durchflutete die skelettierten Wälder und alle satten Farben erschienen grell und feierlich. Der Bagger, der die aufgeworfene Erde vor dem Kloster Rosenhaag dröhnend zu einer ordentlichen Miete aufschichtete, wirkte in seinem auffälligen Gelb wie ein Ding aus einer anderen Welt. Bettinas Taunus dagegen passte sich goldbraunmetallisch-verwittert der Landschaft an. Der alte Lack war stumpf und das ganze Gefährt hatte im Lauf der Jahre etwas Erdiges bekommen, Dellen und Kratzer und eine Patina aus Rost und Straßenstaub.
    »Hübsches Auto«, sagte dennoch die ältere Dame, die neben Bettinas Fahrertür auftauchte, kaum dass die geöffnet war. »Sieht man nicht mehr oft.« Sie blickte Bettina freundlich an und wandte sich dann der Leine zu, die sie in der Hand hielt. »Brav, Liesel«, sagte sie. Ein schon leicht ergrauter Rauhaardackel beschnupperte Bettinas Füße und wandte sich dann den interessanteren Gerüchen bei einem modrigen Laubhaufen zu.
    »Guten Morgen«, sagte Bettina und stieg aus. »Gehören Sie zu der Bibliothek?«
    »Bewahre«, sagte die Dame amüsiert. Sie besaß ein langes, kluges Gesicht mit mehreren Kinnen und einen recht würdigen, aber nicht übertriebenen Körperumfang. Ihre feinen Haare waren braun gefärbt und lagen in gewagten Wellen um ihren Kopf. Eine gewisse Respekt einflößende Unordnung umgab sie, ihr Mantel war staubig und ausgebeult, aber aus feiner Wolle, ihre Strümpfe grau und dick, ihr Rock aus Seide, ihre Schuhe solide. Interessiert musterte sie Bettina. »Sie sind von der Polizei, nicht?«
    Bettina blickte an sich hinab. »Sieht man das?«
    »Margarete hat Sie angekündigt«, sagte die Dame lächelnd und streckte die Hand aus. »Franziska Ballier vom Genfer Herold.«
    »Bettina Boll, Kriminalpolizei«, sagte Bettina verwirrt. »Wer ist Margarete?«
    »Margarete Syra. Ich dachte, Sie arbeiten zusammen.« Ballier wandte sich dem Haus zu. »Sie ist verhindert. Wichtiger Aktenfund. Hat sie Sie nicht angerufen?«
    Bettina zog ihr Handy aus der Tasche und drückte sich durch die Displays. Das Sonnenlicht

Weitere Kostenlose Bücher