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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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einem komischen kleinen Schirm vorne und einer dunklen Bommel ganz oben, sicher aus Menschenhaut. Und sie war ohne das geringste Zögern auf ihn zugekommen. »Der kleine Grregor!«, hatte sie mit leichtem fränkischem Rollen in der Stimme gerufen und seine Hände gepackt, vielleicht um zu fühlen, ob er schon fett genug war.
    »Guten Abend.« Rasch entzog Gregor der Dame seine Finger. Eigenartig, wie genau anscheinend jeder hier wusste, wer er war.
    Und nicht nur das: »Ich kenne Ihrren Vater gut«, sprach Frau Oberhuber nun.
    »Er ist seit über zwei Jahren tot«, entgegnete Gregor.
    Oberhuber seufzte. »Aber er ist immer interressant geblieben.«
    »Stimmt, ein paar Leser hat er noch.« Gregor überlegte. Unter den vielen erstaunlichen Bekanntschaften des Abenteuerromanautors Georg Krampe konnte leicht eine blonde bayerische Wahrsagerin gewesen sein. Andererseits hatte sein Vater biografische Aufzeichnungen hinterlassen, die Gregor fast Wort für Wort kannte. Anna Oberhuber kam darin nicht vor. »Er hat nie von Ihnen erzählt.«
    Sie lächelte nur mitleidig. »Dafür umso mehr von Ihnen. Sie sind sein ganzer Stolz, Grregor, wissen Sie das?«
    Gregor starrte die Frau an und merkte, wie Wut in ihm aufstieg. Was sie sagte, war absurd – und perfide. Georg Krampe hatte sich um sein einziges Kind kaum gekümmert. Damit hatte Gregor inzwischen abgeschlossen, soweit das eben ging, und es war auch kein großes Geheimnis. Jeder einigermaßen Interessierte konnte das aus den überlieferten Berichten der Skandalpresse um Georg Krampes allzu glanzvolles Leben schließen. Nichts Neues, sagte Gregor sich trotzig. Nichts Neues. Trotzdem fühlte er sich plötzlich wehrlos.
    »Darf ich fragen, woher Sie ihn kannten? Mein Vater hat Wahrsager gehasst. Er hielt sie für Scharlatane.«
    Das entlockte Oberhuber ein winziges, überlegenes Lächeln. Sie faltete die Hände, legte sie unters Kinn und bohrte ihren Blick in seinen. Kühle, hypnotische Augen hatte sie, auf deren Grund etwas stand, das Gregor nicht fassen konnte, Gier vielleicht. Oder Besessenheit. Jedenfalls keine Spur von Ironie, was die Situation wenigstens einigermaßen erträglich gemacht hätte. »Zwei Seelen, die sich begegnen«, antwortete sie sanft, und hätte ebenso das Hexeneinmaleins aufsagen können, »zwei Schiffe, die in der Nacht aneinander vorrüberziehen, zwei Einsame –«
    Janine, die neben Gregor stand und lächelte, zupfte ihn unauffällig am Ärmel und deutete auf den Bühneneingang.
    »Ich glaube, es geht los«, unterbrach Gregor seine neue Bekanntschaft und wandte sich den Lichtern zu.
     
    Es war Abend, die Kinder schliefen nebenan. Nein, eigentlich war es Nacht, die Dunkelheit hing seit vielen Stunden über der Stadt, oder seit Tagen. Wenn nicht schon Wochen und Monaten. Kriminalkommissarin Bettina Boll konnte sich kaum erinnern, wie die Sonne aussah. Draußen war es nur noch kalt. Und hier drin, ja –
    Hier war es unerträglich. Dabei gab es eigentlich nichts auszusetzen an Barbas Wohnung. Sie war groß, Altbau, liebevoll eingerichtet und nicht mal übermäßig niedlich. Was im Übrigen viel gnädiger gewesen wäre, denn eine Kitschausstattung hätte Bettina leichten Herzens weggeworfen, aber da waren keine Kunstblumen oder Salzteighühner, mit denen man den Müllsack hätte füllen können. Nichts Reales zum Zerschmeißen, nichts Schweres zum Wegtragen, nichts Buntes, von dem sie sich sowieso befreien wollte. Im Grunde war es eine gute Wohnung, das war das Schlimme. Es gab eine bequeme Couch, eine große Küche, vergessene Lichterketten und Weihnachtskugeln über der Palme, die traditionell als Christbaum herhielt, zwei Filmposter, Wände in warmen Farben und im Wohnzimmer über der Anrichte Barbas große alte Italienkarte, ihr Schatz. Nichts störte, außer die Unordnung vielleicht, und es fehlte auch nichts: Das Weiß war weiß in dieser Wohnung, das Blau im Bad schattig, die Kaffeemaschine italienisch und das Wachstuch auf dem Küchentisch sah aus wie ein Original aus den Fünfzigern. Doch all das Echte und Persönliche vermisste umso schmerzlicher seine Besitzerin. Barbara. Ihre Schwester Barbara, Mutter von Enno und Sammy.
    Sie zündete sich eine Zigarette an. Barbara war tot, und Bettina hatte ihre Wohnung übernommen, den Kindern zuliebe. Damit die ihre Heimat behielten. Das war eine leichte Entscheidung gewesen, fast eine Selbstverständlichkeit, aus ganz praktischen Gründen: Bettinas alte Wohnung wäre sowieso zu klein für drei, so

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