Die Herzen aller Mädchen
Vaters verachtet hätte. Oder ihn gar für ein Monster hielt. Aber der alte Krampe war seit zwei Jahren tot, und er war ein schlechter Vater gewesen. Plötzlich empfand Gregor es als große Entlastung, hier zu sitzen und sich einmal ganz öffentlich frei zu fühlen. Nicht getroffen, wie noch vor der Sendung. Nicht verantwortlich. Ein selbstbestimmtes Leben zu haben. Und einen eigenen Plan.
Als eingeblendet wurde, dass die blonde Bayerin mit der Mütze Wahrsagerin sei, kämpfte Bettina eben mit einem mächtigen Stück Lachs. Es rutschte von der Pizza, sie pflückte es vom Karton, schob es in den Mund und betrachtete dann die Blonde genauer. Irgendetwas stimmte mit der nicht, das war klar. Sie sah verkleidet aus, erkannte Bettina nach kurzem Nachdenken. Sie war nicht das, wofür sie sich ausgab. Sie spielte eine Rolle. Doch welche? Die einer Wahrsagerin? Einer Fränkin? Wozu so etwas spielen?
»Wenn mein Vater über wirkliche Erlebnisse geschrieben hätte, wäre sein Erfolg sicher nicht so überwältigend gewesen«, sagte Krampe junior gerade. »Die Wahrheit ist oft unbefriedigend.« Er lächelte Oberhuber quer über den Bildschirm zu, und Bettina merkte plötzlich, dass sie zurücklächelte. Als sei sie gemeint. »Aber das kennen Sie sicher auch aus Ihrem eigenen Beruf.« Krampe grinste charmant und das Publikum schlug sich wieder auf seine Seite. Man lachte.
»Des ist kein norrmaler Berruf«, antwortete Oberhuber friedlich. »Es wirrd einem gegeben.«
»Von wem?«, fragte Kachelmacher.
Oberhuber sandte einen bescheidenen Blick gen Decke. »Von da. Des ist ein Prrivileg, und auch eine Bürrde. Lerrnen kann man es net.« »Ach«, machte Kachelmacher scheinheilig. »So wird man Wahrsagerin? Man weiß alles, obwohl man nichts gelernt hat?«
Lacher.
Oberhuber faltete ihre kräftigen Hände und erklärte sanft, ihre Interessen seien alles andere als finanzielle, sie diene der Allgemeinheit und ausgewählten Persönlichkeiten, die sie brauchten, et cetera, und ihr salbungsvoller Ton ermüdete Bettina. Zumal die Dame nun ihre siebzehnstündigen Arbeitstage zur Sprache brachte. Fleiß war nun mal nicht unterhaltsam. Jetzt beugte sich auch noch der hübsche Krampe zur Seite und verschwand halb aus dem Bild. Bettina wünschte, sie wäre die Kamera und könnte ihm folgen und zuhören. Ihn einfangen.
Gregor zündete sich noch eine Zigarette an und lächelte dann probehalber seiner Nachbarin zur Linken zu, der jungen Polanski-Schauspielerin. Argwöhnisch lächelte sie zurück. Immerhin. Sie war eine anmutige Frau mit einer hohen Stirn und sehr dunklen Augen, die aussah wie eine mittelalterliche Madonna. Für Polanski hatte sie eine Nonne gespielt, was ihr sicher nicht schwergefallen war. Jetzt trug sie viel Glitzerschmuck, der nicht zu ihr passte. Sie blickte sehnsüchtig auf seine Zigaretten.
»Glauben Sie an Wahrsagerei?«, fragte er halblaut.
Sie zuckte die Achseln und zupfte an ihrer Strasskette herum.
»Möchten Sie Ihre Zukunft wissen?«
»Ich verstehe nicht mal meine Gegenwart«, flüsterte sie gesenkten Kopfes.
Gregor schob ihr in einer Welle von Zuneigung die Zigaretten rüber.
»Ich höre gerade auf«, erklärte sie düster.
Er öffnete einladend den Deckel.
Sie blickte Gregor misstrauisch in die Augen. Er zwinkerte, so wie sein Vater ihm ganz selten zugezwinkert hatte, leicht nur, fast unmerklich. Da nahm sie eine. Galant beugte er sich rüber, um ihr Feuer zu geben. Sie roch sehr gut. Wahrscheinlich rauchte sie wirklich nicht viel. Und er hatte sie nun verführt, Vater sei Dank.
»… schäkert derweil mit den Damen. Herr Krampe!«, störte Kachelmacher.
»Bitte.« Gregor setzte sich aufrechter hin und grinste in die Kamera. »Ich bin sicher, Frau Oberhuber hat ein faszinierendes Leben, entschuldigen Sie, dass ich einen Moment unaufmerksam war.«
»Ich muss Sie um Verzeihung bitten«, sagte Oberhuber knapp an Gregor vorbei Richtung Publikum, »dass ich Sie net eher über den wunderbarren Kontakt zu Ihrrem Vater aufgeklärrt hab. Sie hätten ihn vielleicht viel zu frragen gehabt.« Hier hob sie wieder den Blick zur Decke.
Gregor war irritiert, weil ihn alle so gespannt anstarrten. Nun hatte er es tatsächlich geschafft, genau in dem Moment, da Oberhuber nach allem Geschwafel endlich mit ihrem Anliegen rausrückte, unaufmerksam zu sein.
»Oh Grregor.« Sie beugte sich vor und streckte die Hand nach ihm aus, dass er unwillkürlich in seinen Sessel zurückwich, was ihm wieder ein paar Lacher
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