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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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Namen garantiert nicht auf dem Deckblatt sehen wollte, den kein Verleger ausgesucht hatte, der nicht auf Partys mit der Freestone-Biografie prahlen würde. Zu Gregor Krampe würde es niemals offizielle Verbindungen geben. Das war Bestandteil ihres Geschäfts.
    Prüfend sah Gregor sich im Zimmer um, dann untersuchte er seine Schubladen und sah sogar hinter den Schreibtisch. Die Unterlagen sollten alle zurückgegeben werden. Nichts durfte hierbleiben, nicht mal der Computer, auf dem er geschrieben hatte. Morgen würde er zu einem letzten Besuch bei Freestone aufbrechen, und dann musste diese Arbeit beendet sein, dann hatte er endlich den Kopf frei für anderes. Ohne Bedauern betrachtete Gregor Freestones Laptop, mit dem er die Nächte des letzten halben Jahres verbracht hatte. Diese Abendunterhaltung war er bald los. Dann stutzte er. Und dann legte er eine CD ein und brannte Freestones Leben darauf.
    Denn vielleicht würde er es doch noch einmal brauchen.
     
    * * *
    Die Buchhandlung war klein und eng, also ambitioniert. Doch auch hier wollte man Geld verdienen: Direkt neben der Kasse war ein Reißer aufgebaut, glänzende Stapel des Machwerks, das Gregor Krampe im Fernsehen so unfreiwillig beworben hatte: Johnny Montes erste Mission. Neunzehn fünfzig, dachte Bettina, dann kannst du lesen, wie eine Irre den alten Krampe durch den Kakao zieht. Sie legte den Fremdwörterduden auf die Theke. Der kostete einundzwanzig Euro und fünfundneunzig Cent. Die Buchhändlerin tippte den Betrag in die Kasse. Bettina schaute in ihr Portemonnaie. Darin befanden sich noch genau fünfundzwanzig Euro und etwas Kleingeld. Die Spesen für ein Fremdwörterlexikon würde sie nicht ersetzt bekommen, niemals. Wozu haben Sie eigentlich Abitur gemacht, würde der abiturlose Härting sagen, warum zahle ich Steuern, was machen die Schulen mit unserem Geld. Und wozu gibt es Leihbüchereien.
    Bettina lächelte der Buchhändlerin entschuldigend zu. »Wissen Sie, was das Wort Ikonoklasmus bedeutet?«
    Ein Paar dicker Brillengläser richtete sich auf Bettina. Die Augen dahinter waren grau und sahen grotesk vergrößert aus. »Bildersturm«, war die Antwort. »Religiös motivierte Kulturschändung. Das, was in Afghanistan mit den Buddhastatuen passiert ist, das war Ikonoklasmus. Oder denken Sie an die Französische Revolution, da hat man den Heiligenstandbildern in den Kirchen die Köpfe abgehauen.«
    »Und was war in der Spätantike?«, fragte Bettina.
    »Meinen Sie den byzantinischen Bilderstreit?«
    Die Frage kam schnell und nüchtern und machte Bettina nervös. Hilflos blickte sie in die glänzenden Brillengläser, die funkelten abschätzig zurück. So ist das, sagten sie, wenn du mitspielen willst, dann musst du auch Einsatz bringen. Bettina aber hatte keinen Nerv, auch hier noch um Wissensvorsprünge zu pokern. Wieder lächelte sie, ein wenig verzweifelt, und holte die dicke Expertise hervor. Sie schlug das Medea-Kapitel auf und legte es der Buchhändlerin vor. »Hier«, sagte sie Hilfe suchend. »Das meine ich.«
    Die Verkäuferin neigte gnädig ihr Haupt und las. »Nein«, war ihr Urteil nach fünf endlosen Minuten, »den Bilderstreit meinen Sie nicht.«
    »Was dann?«, fragte Bettina.
    »Ich vermute, hier geht es um die Bücherverluste aus der Zeit der Christianisierung. Damals verschwand fast der gesamte Literaturbestand des Abendlandes. Kurzfristig. Sehr kurzfristig.«
    »Warum? Und wie?«
    »Das wüssten wir alle gern.« Die Buchhändlerin fasste Bettina schärfer ins Auge, beziehungsweise in die runden Brillengläser. Sie hatte etwas von einem Lindwurm. Ihr Hals war sehr lang und trug einen kleinen Kopf, der fast nur aus dem kriegerisch blickenden Augenpaar bestand. Ob sie stand oder saß, war nicht auszumachen, denn ihr breites Hinterteil füllte den winzigen Raum hinter der Kasse gänzlich aus, es wirkte, als sei sie dort festgewachsen, ein urtümliches Wesen, das vielleicht zufällig an dieser Stelle und vor langer Zeit aus einem Buch geschlüpft war. »Die Antike war voller Bücher«, erklärte sie und verschränkte die kurzen, dünnen Arme auf der kompakten Brust. »Es gab wissenschaftliche Werke, bändeweise Kommentare dazu, praktische Ratgeber, Lehrbücher, Dichtung, Dramen, Prosa –« Sie stützte ganz plötzlich die Hände auf die Theke und beugte sich vor: »Trivialliteratur.«
    »Oh«, sagte Bettina erschrocken.
    »Die Leute haben alle gelesen«, sagte der Bücherwurm streng. »Bis hin zu den einfachsten Menschen.«
    »Aber der

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