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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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Buchdruck war noch nicht erfunden«, wagte Bettina einzuwenden. »Wie konnten die einfachsten Menschen sich das leisten? Musste nicht alles von Hand geschrieben werden?«
    »Man hatte doch Sklaven«, sprach der schmale Mund der Buchhändlerin trocken. »Da setzte der Verleger – die gab es! – zehn Leute in einen Raum und diktierte ihnen, sagen wir, die Ars Poetica von Horaz. Das ging ruckzuck, und die Texte wurden auf Papyrusrollen geschrieben, die waren erschwinglich. Ein Buch kostete den Tageslohn eines Arbeiters.« Die herrischen Augen linsten über die Gläser hinweg. »Was denken Sie denn, damals existierte eine richtige literarische Kultur. Augustus erfand die Dichterlesung, und bald hat man so viele davon gehalten, dass Glossen darüber verfasst wurden. Jede Stadt besaß eine Bibliothek, und deren Leitung war ein hoch angesehenes Ehrenamt.« Sie musterte Bettina mit einem kaum deutbaren Ausdruck. »Erstaunlich, nicht wahr, dass all diese Millionen Bücher wirklich verschwunden sind.«
    »Stimmt«, sagte Bettina.
    »Einem Zeitgenossen von Augustus wäre diese Aussicht so absurd erschienen, wie wenn Ihnen heute einer erzählen würde, dass es in fünfhundert Jahren keine Autos mehr geben wird und die Menschheit sich dann wieder auf Pferden und Eselskarren fortbewegt. Doch wer weiß? Vielleicht wird es genau so kommen.«
    »Wo sind die Bücher alle hin?«, fragte Bettina.
    »Sie sind zerstört worden«, sagte die Buchhändlerin mit Grabesstimme. »Niemand weiß genau, wann und wie. Nur so viel ist klar: Der Brand der Bibliothek von Alexandria war nicht die Katastrophe, als die sie immer hingestellt wird. Es stimmt nicht, dass ihr Bestand alles war, was die Welt hatte. Im Gegenteil. Jeder kleine Haushalt besaß Bücher. Doch die Zeiten wurden so schlecht, der Aberglaube so stark und die neue Religion so mächtig, dass die Literatur ihren Eigentümern nichts mehr wert war. Die Leute müssen ihre Bücher selbst verbrannt und vergessen haben. Jeder Einzelne von ihnen. Anders kann es nicht gewesen sein.«
    Bettina blickte in die starren Lindwurmaugen und fühlte sich hypnotisiert. »Das ist ja entsetzlich«, sagte sie.
    »Ja, nicht wahr?«, sagte die Buchhändlerin. »Einundzwanzig fünfundneunzig bitte.«
    Bettina blickte den Duden an, als sei er ohne ihr Zutun auf den Tresen geflogen. »Ahm«, sagte sie.
    Die Buchhändlerin fummelte an ihrer Kasse.
    »Tut mir leid«, sagte Bettina schnell, bevor sich die großen Augen wieder auf sie richteten und sie kein Wort mehr herausbrachte, »ich möchte ihn doch nicht haben.« Sie schob den Duden von sich weg. »Ich möchte lieber das.« Sie nahm eins der dicken schwarzen Bücher von dem großen Stapel.
    »Neunzehn fünfzig dann«, sagte die Buchhändlerin, ohne aufzusehen.
    »Ich muss schnell zuschlagen, bevor es eingestampft wird«, sagte Bettina.
    Rasch versenkte die Verkäuferin das Buch in einer braunen Tüte ohne Aufschrift. Dann hob sie ihr Reptilienhaupt. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte sie feierlich. »Die Existenz von Trivialliteratur ist ärgerlich, aber ein Zeichen für kulturelle Blüte.«
    Verlegen schob Bettina ihren Zwanziger rüber. »Gut.«
    »Das ist mein Ernst.«
    »Okay«, sagte Bettina.
    »Sie müssen sich nicht schämen«, sagte die Buchhändlerin.
    »Tu ich nicht«, sagte Bettina und spürte, wie sich ihre Wangen rot färbten.
    »Das wäre dumm.«
    »Ja«, sagte Bettina. Und nahm ihre Tüte und machte, dass sie aus dem Laden kam. Doch draußen setzte sich ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht. Vergnügt schaute sie in ihre Tüte und fuhr los, zum Kloster Rosenhaag.
     
    * * *
    Gregor fühlte sich leer, das war das Loch nach einer anstrengenden Arbeit, danach folgte immer ein Tief. Und dann natürlich die Sache mit seiner Mutter. Leider konnte er sich jetzt aber keine lange Pause leisten und stundenlang an ihrem Bett sitzen. Er musste seine Konzentration behalten. Doch in dem hellen kalten Aprillicht, das alles so gnadenlos ausleuchtete, war das schwierig. Er fühlte sich einsam in dem kahlen Wald, die Straße war löchrig, die Bäume düster und überall lag Bauschutt am Straßenrand. Außerdem prangte ein frischer Kratzer auf der Kühlerhaube des Citroën und das Armaturenbrett war von dicken Staubschichten bedeckt. Das alles musste geändert werden, am besten sofort, noch während der Fahrt. Gregor pustete in den Staub, wurde von leuchtenden auffliegenden Teilchen geblendet, musste niesen und fuhr in ein Schlagloch. Er fluchte

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