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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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würde.
    Bettina hingegen hatte das Bild schon immer deprimiert. Das Mädchen darauf sah so strahlend aus, so blond und schön. Hübsche Sommersprossen zierten ihre Nase, und sie lächelte breit und unbefangen. Sylvia Lohmeier war klug gewesen, lustig, beliebt, die große Freude ihrer sonst nicht gerade erfolgreichen Eltern. Sie war eine Hoffnung gewesen, ein Glück. Das einzige Kalb des armen Mannes, dachte Bettina, wer hatte ihr noch gleich die Geschichte erzählt? Vom reichen König, der dem armen Untertan aus Neid sein einziges Kalb weggenommen hatte? Sie betrat schweigend das Zimmer, hob Sylvia Lohmeiers eingeschweißtes Sommerkleidchen von ihrer Akte und machte, dass sie rauskam.
    Draußen musste sie dann enttäuscht feststellen, dass nichts Neues dazugekommen war. Dabei hatte Syra doch von einem interessanten Hinweis gesprochen. Unschlüssig stand Bettina mit Kaffee und Papieren im Gang, Ackermann saß in seinem Büro und vernahm einen Zeugen, da konnte sie jetzt nicht rein, und in Härtings Nähe mochte sie erst gar nicht kommen, der wollte länger über ihren Arbeitsmittelantrag nachdenken. (»Ein zweiter Computer, Frau Boll?!« – »Nein, ein anderer, Herr Hauptkommissar.«) Also trank sie ihren Kaffee im Stehen, brachte die Tasse zum Automaten zurück und ging. Langsam. Die Vorstellung, eingesperrt in jenem Glasschlauch in der strengen Klosterkirche zu sitzen, machte sie kribbelig, mehr als die Aussicht auf einen Ortstermin in der schlimmsten Schlägerkneipe. Für solche Fälle hatte sie immerhin ihre schusssichere Weste und ihre SIG Sauer und ihr Schieß- und Brülltraining. Etwas Vergleichbares wollte sie jetzt auch. Sie brauchte Rüstung und Munition. Also setzte sie sich in ihren kalten Taunus und sah die Akte nochmals durch. Als Erstes – und mit Bedauern – legte sie die pyrotechnischen Analysen beiseite. Wenn sie nicht nach Darmstadt durfte und der Anschlag auf Elisabeth Krampe nicht das Werk des Sohnes war, dann nützte es auch nichts, diesen zu Details der Bombe zu befragen. Blieben die Lebensdaten seiner Eltern. Bettina meditierte ein wenig über dem altmodisch kurzen Lebenslauf von Elisabeth Krampe: Studium der Kunsthistorie, Heirat, Kind, kein Abschluss. Die klassische Vita einer höheren Tochter, deren Bildung nur dem Nachweis diente, dass sie keine dummen Kinder gebären und einen Baselitz niemals falsch herum aufhängen würde. Wer Baselitz war, wusste Bettina zufällig, weil Willenbacher sie neulich zu einer Ausstellung nach Mannheim geschleppt und endlos schwadroniert hatte über die Kunst des »veränderten Blickwinkels«. Sollte er lieber einen veränderten Blickwinkel auf sein Baby finden, dachte sie. Ich komm vorbei, Will, ich drück dir meine Sammy in den Arm, die soll dich anlächeln mit ihren Grinsebacken, die musst du lieben. Deins wird genauso, noch viel schöner. Sie tastete nach dem Telefon und fand es in ihrer Hosentasche, doch sie zog es nicht hervor. Sie konnte Willenbacher nicht in seine Familienplanung hineinreden. Und, was weit schwerer wog: Er kannte Sammys Bäckchen schon. Er hatte das kleine Mädchen hundert Mal auf dem Arm gehalten. Und es rührte ihn nicht.
     
    * * *
     
    Lisa träumte. Seeluft, warme Sonne auf ihrer Haut, geschlossene Augen. Das war der Beginn. So fing es immer an. Dann kam die Panik. Nicht atmen, dachte sie in höchster Erregung, bloß nicht atmen, sie wusste nicht, wieso, nur eins: nicht atmen, die Luft wird dich fressen. Und bevor sie dann doch atmete und ein weiteres Mal von der Glut gefressen wurde, hatte sie kurz einen merkwürdig kühlen Gedanken: dass da eine Gesetzmäßigkeit war. Dass sie eine Regel entdeckt hatte. Und dass das die Rettung sein konnte.
     
    * * *
     
    Bettina hätte viel darum gegeben, auch nur einen kleinen Ansatzpunkt zu finden. Allein um die Sache mit dem Baby zu vergessen. Irgendeine Winzigkeit, an der sie sich festbeißen, aus der sie eine Theorie entwickeln konnte. Sollte sie Gregor Krampe vielleicht sagen, ätsch, meine Vorgesetzte weiß, wo dein Manuskript her ist? Es war ja nicht mal sicher, ob diese elementare Information weitergegeben werden durfte, wenn sie denn nachgeprüft und bestätigt war. Bettina wurde langsam ganz kirre davon, so viel Wissen zu besitzen, ohne etwas Konkretes damit anfangen zu können.
    Ziemlich verzweifelt holte sie die Expertisen des Ovid-Kodex hervor. Die dünnere der beiden schlug sie auf, mittendrin. Sie landete bei einem Vergleich von Hautfarben. Verschiedene Details der

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