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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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traf zu. Sie haben Sylvia aufs angrenzende Feld gelockt, zur Rede gestellt und ermordet. Dann ließen Sie Ihren Ehemann wissen, was Sie getan hatten. Er war ein depressiver Mensch, verschlossen, sentimental und labil. Bei Sylvia hatte er schon fast alle Kontrolle über sich verloren, doch Ihr Mord an dem Mädchen schockierte ihn vollends. Er erhängte sich tags darauf in Ihrem Keller. Seinen Brief haben Sie zerstört, weil er Sie verraten hätte. Doch seine Entwürfe sind vielsagend genug. Er schreibt zwar ausführlich, welche Schuld er auf sich geladen hat, ein so junges Mädchen zu verführen und ihren gewaltsamen Tod zu verursachen, aber interessanterweise sagt er auch, dass er Sie zu etwas trieb. Die Entwürfe sind alle an Sie adressiert, Frau Mahler. Ihr Mann schrieb: Ich habe dich dazu gebracht. Das hat mit Sylvia gar nichts zu tun. Die kommt in dem Brief als Person nicht vor, nur als Objekt. In diesem Satz ging es nie um den Sex, es ging um den Mord.«
    Mahlers Augen funkelten. Langsam, kaum merklich, hob sich ihr Po nach oben, eine gemächliche Bewegung, die gleichwohl enorme Energie kosten musste. An der alten Dame sah das unwirklich aus. Und unheimlich. Bettina drückte sich rasch an Nessa Kaiser vorbei zur Tür, lockerte die Knie und sammelte Kraft in den Fäusten. Man konnte nie wissen.
    Die Kollegin hingegen stand aufrecht wie ein Fels. »Wir hatten nie verwertbare Spuren«, sagte sie laut. »Das bedeutet aber nicht, dass keine da sind. Im Gegenteil. Es gibt viele. Und die Technik hat sich in den letzten Jahren sehr verbessert. In der Spurensicherung haben sie es fertiggebracht, aus minimalen Hautfetzen unter Sylvias Fingernägeln Fremd-DNA zu isolieren. Die DNA des Mörders, Frau Mahler.« Wie durch einen Taschenspielertrick hielt Nessa Kaiser plötzlich ein Speichelprobestäbchen in der Hand. »Darf ich bitten?«
    In dem Moment sprang Mahler los. Sie verpasste Nessa einen regelrechten Tatzenhieb, fuhr ihr mit scharfen, hart lackierten Fingernägeln übers Gesicht und landete gleich darauf in Bettinas Armen. Die versuchte den Ellbogen der Kämpfenden zu fassen und zu verdrehen, wie sie es gelernt hatte, doch die alte Dame war ungeheuer kräftig und roch gleichzeitig zart nach Rosen und Jasmin. Das verwirrte Bettina und verschaffte der Gegnerin einen Vorteil. Rasend schnell hatte sie die Türklinke in der eigentlich fixierten Hand und drückte mit dem Ellbogen des anderen Arms Bettinas Kopf zur Seite. Deren Blick wurde kurz auf die Wand gelenkt. Von dort aber lächelte ihr die kleine Sylvia zu, hübsch und strahlend. Da riss Bettina hart die Hand der alten Dame hoch und kugelte mit hässlichem Knacken irgendein Gelenk aus. Mahler schrie schrill auf, rutschte zu Boden, doch noch im Sinken trat sie mit erstaunlicher Wucht gegen Bettinas Fußknöchel. Das tat so weh, dass ihr kurz weiß vor Augen wurde.
    Kaum war sie aber wieder klar, stand das Zimmer schon voller Kollegen. Ackermanns Eisenarme packten die jammernde Mahler. Alle redeten auf Bettina ein, und die begriff erst gar nicht, dass man sie fragte, was passiert sei und wie mit der Festgenommenen verfahren werden sollte. »Fragt Nessa«, sagte sie schließlich. Sie ging zu der neuen Kollegin und reichte ihr die Hand. »Das war – inspirierend.«
    Nessa blutete aus fünf langen Kratzern im Gesicht. »Danke«, sagte sie erstickt.
    »Das solltest du gleich einem Arzt vorführen.« Bettina wies auf Nessas rot verschmiertes Taschentuch, um nicht auf ihr Gesicht zu zeigen. »Das gibt sonst Narben.«
    Nessa nickte.
    Bei Ackermann entstand ein kleines Handgemenge. »He, he, bleiben Sie ruhig, gute Frau, dann ist alles easy. – Also, Mädels, bevor ihr euch jetzt wochenlang krankschreiben lasst, was habt ihr hier eigentlich gemacht?«
    »Nessa hat den Fall Lohmeier gelöst«, sagte Bettina.
     
    Eigentlich wollte Bettina sich rasch abseilen, doch das war gar nicht so einfach, weil jemand sich um Mahlers Unterbringung kümmern musste, während Nessa verarztet wurde. Sie also. Und anschließend brauchte die Neue Hilfe bei den Formalien. Nach dieser Superleistung konnte man sie kaum allein nach Zimmern, Zuständigen und Papieren suchen lassen. Bettina spielte also Patentante und Tutorin, schrieb zwischendurch ihre Zeugenaussage über den Kampf im Büro auf, und brachte fast den ganzen Mittag damit zu, Mahlers Verwahrung zu organisieren, ihr einen Anwalt zu besorgen und die richterliche Anordnung für die Entnahme von Speichel- und Blutproben einzuholen.

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