Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
Mal zu treffen, erschien ihr schon unpassend genug. Zwei Mal – das wäre unverzeihlich. »Nein, es geht nicht ...«
»Oh, das bilden Sie sich nur ein. Seien Sie nicht so stur, Suzie. Es schadet nichts, wenn Sie ein bisschen was riskieren.«
»Hören Sie, ich bin verlobt. Es wäre unschicklich, wenn ich Sie noch einmal treffen würde.«
»Unschicklich?« Sam Gamble hob die Brauen. »Habe ich Sie etwa gebeten, mit mir zu schlafen? Ich möchte Sie nur mit ein paar Leuten bekannt machen. Geben Sie sich einen Ruck, Suzie. Vergessen Sie ausnahmsweise, was in Ihrem Sittenlehrbuch steht.«
Natürlich durfte er nicht merken, wie tief er sie erschüttert hatte. Wie einen Schal, den eine altjüngferliche Tante gehäkelt hatte, schlang sich die prüde Susannah Faulconer ihren Sittenkodex um die Schultern. Sie stand auf, öffnete ihre Tasche und nahm den Autoschlüssel aus einem der sorgfältig geordneten Fächer. »Was für Leute soll ich kennen lernen?«, fragte sie so beiläufig, als würde sie sich nach der Gästeliste für die nächste Party erkundigen.
»Hacker, Schätzchen«, antwortete Sam Gamble grinsend. »Lauter Hacker.«
5
Nirgendwo würde man eine eklatantere Versammlung von Freaks und Außenseitern finden – bebrillte kalifornische Jungs aus den sechziger Jahren, in den Vorstädten des Santa Clara Valley, südlich von San Francisco.
In anderen Teilen Amerikas beherrschten Baseball und Football die Szene, im Santa Clara Valley durchdrangen elektrotechnische Elemente die Luft. Hier lagen Stanford und Hewlett-Packard, das Ames Research Laboratory und Fairchild Semiconductor. Von morgens bis abends atmeten die Valley-Kids alle Wunder der Transistoren und Halbleiter ein.
Statt für den Basketballspieler Wilt Chamberlain und den Footballstar Johnny Unitas zu schwärmen, erblickten die Jungs aus den sechziger Jahren ihre Helden in den Elektrotechnikern, die nebenan wohnten und in den Labors von Lockheed und Sylvania schufteten. Die Elektronik prägte das Santa Clara Valley. Und so waren die bebrillten jungen Freaks in den Vorstädten mit ihren Rechenschiebern und ihrem Markenzeichen – den kultigen Plastiketuis für tintenverschmierte Kugelschreiber in den Taschen – die modernen Marco Polos. Abenteurer, die das exotische Mysterium der elektronischen Funktionen und Sinuswellen entschlüsselten...
Allmählich entwickelten sie ein bemerkenswertes Geschick im Tauschhandel. Wenn sie bei den benachbarten Technikern ein paar Jobs in Haus und Garten erledigten, verlangten sie zur Belohnung überschüssige Geräte, die diese Männer aus den Lagerhallen der Firmen entwendeten, für die sie arbeiteten. Um Schachteln mit Kondensatoren und Leiterplatten einzuheimsen, wuschen die Freaks Autos oder strichen Garagenwände. Jeden Penny, den sie verdienten, investierten sie in Teile für Transistorschaltungen und Amateurfunkgeräte. Mit Feuereifer bastelten sie solche Apparate in ihren Schlafzimmern.
Sonst konnten sie nicht viel mit ihrem Geld anfangen. Um Autos zu fahren, waren die meisten noch zu jung. Und die Älteren mussten ihre paar Dollars nicht für Dates sparen, denn die kalifornischen Schulmädchen, die was auf sich hielten, wären lieber tot umgefallen, als sich mit diesen
unsportlichen Außenseitern zu zeigen. Einige waren so übergewichtig, dass ihre Bäuche über dem Hosenbund hervorragten, andere so dünn, dass ihre Adamsäpfel dicker wirkten als die Hälse. Zudem hatten sie blasse Gesichter voller Pickel, ihre Schultern hingen nach vorn, und sie blinzelten kurzsichtig.
Später gingen sie aufs College. Aber trotz ihrer eindrucksvollen Intelligenzquotienten schafften ein paar besonders Talentierte keinen Abschluss. Statt die Thermodynamik-Kurse zu besuchen oder für ein Examen in Quantenmechanik zu büffeln, amüsierten sie sich lieber im Computerlabor ihrer Universität.
Sie programmierten die Großrechner, um Spiele auszutüfteln, und so explodierten funkelnde Galaxien auf den Bildschirmen, zwischen Konstellationen, die sich tatsächlich in der richtigen Weise bewegten. Tagsüber schliefen sie, denn sie kamen nur nachts an die Maschinen heran. Dann aber hackten sie, bis sie am Morgen von den Assistenten der Professoren rausgeworfen wurden. Weil sie nur Junk Food aßen, waren sie erbärmlich unterernährt. Im bläulichen Licht der Monitore fristeten sie ein ungesundes Dasein, wachsbleich wie Vampire.
Ständig kämpften sie mit sexuellem Frust. Wenn sie nicht vor den Computern saßen, träumten sie von
Weitere Kostenlose Bücher