Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
Guirlandes Box fertig war und das verschmutzte Stroh zum Misthaufen gefahren hatte, war bereits der Mond aufgegangen. Er blieb auf halbem Weg zurück zum Stall stehen und blickte hinauf zu den Sternen.
Sogar ein Stallbursche konnte vom Glanz des Nachthimmels geblendet sein. Sein Herz schlug langsamer und wurde vor Ehrfurcht ganz weit. Er konnte nicht nach den Sternen greifen, dennoch hatte er die Herzogin berührt.
Seufzend schob er seine stinkende Schubkarre zurück in den Hof. Er musste aufhören, über den Nachmittag mit der Herzogin nachzudenken, musste aufhören, der Sache mehr Bedeutung zu geben, als sie hatte. Die Herzogin hatte ihn benutzt, nicht mehr und nicht weniger.
Er konnte nicht leugnen, dass er sie heimlich schon seit Jahren begehrte. Das Verlangen hatte langsam seine früheren Fantasien verdrängt, in denen sie ihn für das Training ihrer Pferde auswählte, weil sie etwas Besonderes in ihm sah. Nun, da die Gefahr der Entdeckung hinter ihm lag, kümmerte es ihn nicht einmal mehr, dass sie ihn benutzt hatte. Es gab keine andere Möglichkeit für ihn, mit ihr zusammen zu sein.
Wie dumm von ihm, damit herauszuplatzen, dass er ihr zur Flucht verhelfen könne. Als würde sie ausgerechnet ihn brauchen, wenn sie fliehen wollte. Ihre Zofe war ihr treu ergeben, ebenso ihre Eunuchen. Am Hof gab es noch andere, die weitaus mehr wert waren als ein Stallbursche. Er fragte sich, ob einer von ihnen sich wirklich um sie sorgte.
Er ging ein letztes Mal an den Boxen entlang, in denen seine Schützlinge standen und tätschelte die Nüstern der Pferde, die noch wach waren und über ihre Boxentüren spähten. Er würde morgen früh aufstehen, um Tulipe im Ring zu bewegen. Lilas musste an der Longe trainiert werden. Er spürte außerdem, dass Guirlande schon bald rossig sein würde. Vielleicht auch Tonnelle. Das bedeutete, dass er einen Ausflug zu einer der entlegenen Zuchtstationen unternehmen musste. Für ihn hieß das, eine Zeitlang in relativem Luxus zu leben. Nicht nur, weil er sich dort um weit weniger Pferde zu kümmern hatte. Man würde ihn auch nicht zu sonstigen Arbeiten einteilen, wie es der Fall war, wenn er im Blickfeld des Stallmeisters und der leitenden Stallburschen seine Arbeit verrichtete. Außerdem würde er während seiner Arbeit dort nicht ständigen Hieben ausgesetzt sein. Noch besser: Die Zuchtstationen waren zu Zeiten unermesslichen Reichtums erbaut worden, für einen Herzog, der seine Pferde liebte. Daher würde der Heuboden, auf dem Henri schlief, sogar dem Vergleich mit einem herrschaftlichen Schlafgemach standhalten – zumindest hatte er das bisher geglaubt. Aber heute war er eines Besseren belehrt worden. Egal, es war leichter, sich an bescheidenem Luxus zu erfreuen.
Erneut meinte er das Gewicht und das weiche Gewebe ihres Kleids in seinen Händen zu spüren, meinte, das blumige Parfüm einzuatmen, dessen Duft ihre Halsbeuge verströmte. Er hingegen stank nach Pferdeschweiß und Pferdemist. Und obwohl sie vor seiner Berührung nicht zurückgezuckt war, hatte er nicht den Mut aufgebracht, ihr Gesicht zu berühren oder ihre Lippen zu küssen. Jetzt wünschte er, er hätte es getan. Dann hätte er das Gefühl gehabt, dass sie einander gekannt hatten, wenn auch nur für kurze Zeit.
Es war kindisch von ihm, so viel zu erwarten. Sie stand so weit über ihm wie die Sterne am Nachthimmel. Zudem war sie alt genug, um seine Mutter zu sein. Allerdings gab es viele Männer, die sich Bräute nahmen, die weitaus jünger waren als sie, daher war es vielleicht nicht so schlimm. Denn warum konnte es nicht umgekehrt sein? Er stellte sich vor, wie sie in dem Haus seiner Träume vor ihm stand, in einem wunderschönen Kleid, während sie die Wiege schaukelte. Er musste lachen. Es war viel wahrscheinlicher, dass er das Baby wiegte und die Windeln wechselte.
Er wandte sich von Tonnelle ab und trat durch die Stalltür hinaus in die Nacht. Sein Körper war von einem Summen erfüllt. Er konnte noch nicht schlafen.
Es war spät, aber noch nicht zu spät, um ein Bad zu nehmen. Vielleicht würde er danach einem anderen Vergnügen frönen. Im
La rose mouillée
hatte man sich auf alle möglichen Arten der Entspannung spezialisiert. Er gab nie viel von seinem kargen Lohn aus, da er ja stets bei den Pferden schlief. Vielleicht würde er heute einen Teil seines Gelds mit den Mädchen des
La rose mouillée
teilen. Diese Möglichkeit hielt er sich stets offen, obwohl er sich meistens am Ende doch dafür entschied, das
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