Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
warf die Hände hoch. Befreit von ihrem Griff rutschte Henri von ihr fort. “Du bist verrückt”, stellte sie mit offenkundig gespielter Geduld fest. Henri fragte sie nicht, was sie meinte. Er konnte es sich denken.
“Wo werden wir hingehen? Brauchen wir dort kein Geld?”
“Ich will deine armseligen Münzen nicht”, fauchte Sylvie. “Alles ist vorbereitet, wir haben ausreichende Geldmittel zur Verfügung, und ich habe zudem Edelsteine in die Gewänder eingenäht. Was wir brauchen, ist ein Versteck. Du kannst uns doch verstecken, nicht wahr? Nur zwei von uns, Madame und mich. Der Eunuch wird kommen und uns abholen, sobald der Zeitpunkt für die Flucht günstig ist.”
“In der Stadt sind viele Menschen”, sagte Henri. “Wir könnten uns mitten unter ihnen verbergen.”
“Nein. Dort gibt es zu viele Leute, die sie kennen. Madame hat mir von der Zuchtstation erzählt. Du kannst uns dorthin bringen. Ich werde mich um ihre Sicherheit kümmern, du aber brauchst nur die Suchtrupps des Herzogs ablenken.”
Natürlich. Er hätte selbst an die Zuchtstation denken können. “Wir haben Glück. Guirlande steht kurz vor ihrer Rossigkeit”, sagte er. “Andernfalls würde man mich nicht gehen lassen.”
“Ich bin froh, dass du mir zustimmst”, erklärte Sylvie und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. “Habe ich dir nicht gesagt, du sollst deine Sachen holen?”
Alles stellte sich als viel einfacher heraus, als Henri zunächst gedacht hatte. Es war sogar so einfach, dass er das sichere Gefühl hatte, es würde schiefgehen, wenn er es am wenigsten erwartete. Es sei denn, sein Glück hatte sich gewendet. Er hatte von Leuten gehört, die verflucht waren und denen Eiterbeulen wuchsen. Oder sie verloren ihre Manneskraft, und aus ihrem Mund sprangen lebende Frösche. Was war, wenn er verflucht war, von nun an Glück zu haben? Er lächelte still in sich hinein. Ach, das war ein dummer Gedanke. Sylvie bestrafte ihn für seinen verträumten Gesichtsausdruck, indem sie ihm eine Kopfnuss verpasste. Es schien ihr gefallen, ihn zu schlagen. Er vermutete, dass sie einen kleinen Bruder hatte. Oder auch mehrere.
Kurz nach Sonnenaufgang führte Henri Guirlande, Tonnelle, Lilas, Tulipe und ein Maultier namens Tigre über einen Pfad am Rande der herzoglichen Wälder. Sein Herz wurde leichter, als er den frischen Geruch des Nebels wahrnahm, der aus dem Gras aufstieg. Der Tag würde erneut heiß werden, doch das kümmerte ihn nicht, da er ausnahmsweise nicht draußen sein würde. Die Stuten blieben während der paar Tage, die es dauerte, die geeigneten Deckhengste auszuwählen und zur Zuchtstation zu bringen, immer auf den Koppeln. Wenn die Hengste kamen, würden er und die Stuten jedoch bereits fort sein, zusammen mit der Herzogin. Und mit Sylvie. Und einem Eunuchen. Wenn sie bis dahin nicht gefangen genommen und umgebracht worden waren. Er beschloss, über diese Möglichkeit nicht weiter nachzudenken. Wenn die Pferde seine Angst spürten und dadurch unruhig wurden, könnte jemand bemerken, dass irgendetwas nicht stimmte.
Trotz seiner Sorgen begegnete er auf dem Weg zur Zuchtstation niemandem, nicht einmal einem Gärtner oder einem Jäger. Der Fußmarsch dauerte über eine Stunde. Der Stall lag so weit vom Palast oder den umliegenden Häusern der Höflinge entfernt, damit sich niemand vom durchdringenden Wiehern der Deckhengste gestört fühlte. Der Weg war aber auch nicht so weit, dass Henri ein schlechtes Gewissen hätte haben müssen, weil er Tigre vier Sätze Sattelzeug aufgeladen hatte. Wenn sie wirklich zu einer langen Reise aufbrachen, wollte er die Pferde nicht mit billigen, schlecht sitzenden Sätteln quälen, wenn es doch für sie maßgefertigte gab.
Als er in der Zuchtstation ankam, sah er weder die Herzogin noch Sylvie. Er wollte nicht nach ihnen rufen, weil er fürchtete, Aufsehen zu erregen. Vielleicht waren die Frauen noch nicht angekommen. Er brachte die Stuten auf die kleine Koppel direkt neben dem Stall und lud das Sattelzeug von Tigres Rücken, ehe er auch dem Maultier etwas Auslauf ermöglichte. Noch immer wies nichts auf die Ankunft der Frauen hin. Sein Herz, das sich beruhigt hatte, während er die Routinearbeiten erledigte, begann wieder schneller zu schlagen. Sein Nacken kribbelte. Er stapelte Guirlandes Sattel auf den von Tulipe, legte die Zügel über seine Schulter und brachte alles in die Sattelkammer. Den Schlüssel dazu hatte ihm der oberste Stallbursche, garniert mit einigen wilden Drohungen,
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