Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
provozierte, dass sie ihn töteten, würde Camille ihn wegen seiner Dummheit in Gedanken ein zweites Mal umbringen. Sie schloss die Augen, als die Beleidigungen immer schneller und gröber hin und her flogen. Schon bald erklang das fleischige Klatschen von Fäusten auf Fleisch; das Klirren einer zu Boden fallenden Laterne; das dumpfe Geräusch schwerer Körper, die zu Boden gingen; Grunzen und Flüche und Keuchen. Nach ein paar Minuten öffnete sie die Augen und sah, wie zwei der Wachmänner Kaspar von Léopolds kraftlosem Körper zogen. Der vierte Wachmann krümmte sich im Gras und musste sich übergeben.
“Du verschwindest besser, bevor Léopold wieder zu sich kommt”, riet einer der Männer. Camille erkannte seine Stimme. Es war Rodrigue, ein weiterer Mann aus Michels Ehrengarde. “Eugène, du auch. Du kannst dir keine Schwierigkeiten mehr leisten. Warst du nicht für den Wachwechsel zum Sonnenaufgang eingeteilt?”
Eugène fluchte und rannte zu der Tür, die in das Innere des Palasts führte. Camille zuckte zusammen, als die Tür hinter ihm ins Schloss flog.
“Danke”, sagte Kaspar.
“Du verschwindest besser wieder und gehst zur Herzogin, falls Léopold es sich in den Kopf setzt, Schwierigkeiten zu machen”, sagte Rodrigue. Er beugte sich hinab und wuchtete Léopold über seine Schulter. Den vierten Wachmann packte er beim Ärmel und zog ihn mit sich in Richtung Tür. “Wenn ich Vilmos sehe, lasse ich ihn wissen, dass du nach ihm gefragt hast. Nimm die Laterne.”
“Ich danke dir vielmals.” Kaspar sah zu, wie Rodrigue und sein betrunkener Kumpan Léopold durch die enge Tür manövrierten. Dabei stieß Léopolds Kopf mehr als einmal gegen die Wand.
Dann wischte Kaspar sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Im Licht der Laterne erkannte Camille einen dunklen Blutfleck unter seiner Nase.
Langsam richtete sie sich auf und stützte sich mit einer Hand an der Mauer ab. Kaspar blickte in ihre Richtung und löschte die Laterne. Sie hörte seine Stiefel über den Kies knirschen, dann ein leises Klacken, als er die Laterne neben der Tür auf den Boden stellte. Camille atmete tief ein und gesellte sich zu ihm. “Danke”, sagte sie leise.
“Léopold könnte uns Probleme bereiten”, stellte Kaspar fest.
“Dann sollten wir uns beeilen.”
Er griff in der Dunkelheit nach ihrer Hand, und als er sie zum hinteren Tor führte, spürte Camille, wie Freude in ihr aufstieg. Schon bald würde sie frei sein.
6. KAPITEL
H enri hätte den Weg vom Badehaus nach Hause am liebsten tanzend zurückgelegt, wenn er nicht so schrecklich erschöpft gewesen wäre. Er hatte den ganzen Vormittag gearbeitet, der Nachmittag war ein Wechselbad aus Leidenschaft und Todesangst gewesen, und anschließend hatte er wieder bis weit in den Abend im Stall gearbeitet. Und schließlich war da noch das erschöpfende Liebesspiel mit Nico im Bad gewesen. Dennoch musste er vor Sonnenaufgang aufstehen, um die Pferde vor der Hitze des Tages zu trainieren.
Als das Pony Poire, der treue Gefährte der Herzogin aus Kindertagen, im vergangenen Sommer auf der Koppel tot umgefallen war, hatte man keinen Ersatz besorgt. Seitdem schlief Henri normalerweise in Poires verlassener Box am Ende des Gangs. Dort lagen seine Decken und sein zweites Hemd, das er jetzt aber trug, weil er nach dem Bad immer reine Kleidung anzog. Er fühlte sich so sauber, dass ihm die Vorstellung widerstrebte, am nächsten Morgen das dreckige Hemd für die Arbeit wieder anzuziehen. Doch beim Erwachen würde ihm diese wundersame Nacht ohnehin wie ein Traum erscheinen. Das hoffte er zumindest. Früher oder später musste er sich wieder mit seinem Alltag abfinden. Es würde einfacher für ihn sein, wenn er nicht zu viel über das nachdachte, was er vermisste.
So leise wie möglich hob Henri den Balken, mit dem das Stalltor gesichert war. Keiner der älteren Stallburschen schlief hier. Nicht mehr. Aber lautes Krachen würden sie auch im Nachbarstall hören, wo sie auf Liegen neben den Jagdpferden des Herzogs schliefen. Des Herzogs Pferde fraßen oft nachts und liefen manchmal in ihrem Auslauf herum. Henris Pferde – besser gesagt die Pferde der Herzogin – waren hingegen in bester Verfassung. Er sorgte dafür, dass es so blieb, denn auch wenn die Herzogin nie mehr reiten durfte, sah sie die Tiere vielleicht aus der Ferne, und er wollte sie nicht enttäuschen. Außerdem liebte er seine Pferde.
Er verriegelte das Stalltor von innen und tappte den Gang hinunter, an den die
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