Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
irgendetwas zu einem dieser Gerüchte zu sagen, aber sie verbrachte viele Stunden damit, mit Sylvie und Kaspar die nächsten Stationen der Reise zu planen. Vor hier aus bis zu Maximes an der Küste gelegenen Protektorat würden sie nur noch schmale, wenig befahrene Straßen benutzen. Die nächsten Nächte würden sie in den Wäldern kampieren. Kaspar würde ihren bezahlten ortskundigen Führer darstellen und die Herzogin eine Witwe spielen, die Mutter von Sylvie, welche ihre Verkleidung als Junge beibehalten wollte. Henri sollte weiterhin ihr Stallbursche sein, eine Rolle, die ihm keine Schwierigkeiten bereiten würde.
Henri wusste, dass er das komfortable Freudenhaus und all die Erfahrungen, die er hier gemacht hatte, vermissen würde. Das erste Mal in seinem Leben war er aus seiner täglichen Arbeitsroutine herausgerissen worden. Während des Aufenthalts im Bordell hatte er die Pferde nur besucht, sie aber nicht selbst versorgt. Das hätte ihn vielleicht sogar traurig gemacht, wenn die Herzogin ihn nicht bei seinen Besuchen begleitet hätte. Sie hatte ihr Lieblingspferd Guirlande mit Karotten gefüttert und zugelassen, dass sämtliche Pferde ihr mit den Köpfen sanft gegen die Brust stießen. Jedes Lächeln, das sie den Pferden schenkte, löste in Henri eine Welle des Stolzes und der Zärtlichkeit aus.
Von Sylvie hatte er nach dem Ankunftstag wenig gesehen. Sie hatte sich rasch mit Monsieur Fouet angefreundet, der ihr sogar eine Stellung angeboten hatte. Sie hatte jedoch abgelehnt, weil sie die Herzogin nicht verlassen wollte, solange sie noch gebraucht wurde. Außerdem erklärte sie, sie wolle, dass Kaspar ihr beibrachte, wie man mit einer einschwänzigen Katze umging.
Während ihres Aufenthalts im Freudenhaus war Kaspar die meiste Zeit mit Henri beschäftigt gewesen.
Als sie vom Bordell fortritten, drehte Henri sich um, warf einen letzten Blick auf den eingezäunten Hinterhof und dachte an seinen ersten Unterricht im Umgang mit Waffen zurück. Kaspar hatte ihm ein Messer in die geöffnete Hand gelegt. Henri betrachtete es. Die Klinge war dünn wie ein Blatt, das Metall ein wenig zerkratzt vom Schärfen. Der Griff bestand aus blau gefärbtem Schweineleder, das an einer Stelle beschädigt war, wo Kaspar wohl das Siegel der Herzogin entfernt hatte. “Es sieht aus wie das, was es ist. Etwas, womit man töten kann”, stellte Henri fest.
“Es kann notwendig werden, für sie zu töten”, erwiderte Kaspar. “Bist du bereit dazu? Ich sage es dir besser gleich, du weißt nicht, ob du es
kannst
, bevor der Moment da ist – aber bist du bereit?”
Henri schloss die Finger um den glatten ledernen Griff und wog das Messer in der Hand. Die Klinge war fast gewichtlos. Er konnte seinen Arm nach vorn stoßen, und aus seinen Fingern würde der scharfe Tod wachsen, sein Hieb wäre tödlich. Er stellte sich eine nebelhafte Gestalt vor, die wie vom Huftritt eines Pferdes rückwärts umfiel, mit fliegenden Armen und Beinen und aus dem Mund strömenden Blut – während er selbst, die blutende Klinge in der Hand, über den zusammengesunkenen Körper gebeugt dastand und zusah, wie das Lebenslicht in den Augen erlosch. Er schüttelte sich und sah Kaspar an. “Ich weiß es nicht”, antwortete er. “Ich bin bereit zu töten, um sie zu verteidigen. Wenn ich auf ihren Befehl hin jemanden töten soll … ich weiß nicht, ob ich das kann.”
“Ich bezweifle, dass es dazu kommen wird”, beruhigte ihn Kaspar.
Henri balancierte das Messer auf seiner Handfläche. “Was ist mit dem Herzog? Wird sie … Glaubst du, sie könnte ihn eines Tages töten lassen?” Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie das Todesurteil über jemanden aussprechen würde, aber wie gut kannte er sie denn wirklich? Ihr Vater und ihr Ehemann hatten viele Todesurteile gefällt. Er wusste, dass sie selber die Macht ergreifen wollte, nicht um der Macht willen, sondern um vor dem Herzog sicher zu sein. Henri befürchtete, der einzige Weg, den Herzog davon abzuhalten, Rache zu nehmen, war, ihn zu töten.
Der Gedanke, dass der Herzog vielleicht getötet werden musste, schien Kaspar nicht sonderlich aufzuregen. “Du wärest ohnehin nicht derjenige, der die Tat ausführen müsste, falls die Herrin entscheiden sollte, dass es nötig ist”, stellte er fest. Er tätschelte den langen Dolch, der an seiner Hüfte hing.
So weit hatte er nicht gedacht. “Hast du …” Er stockte, weil er sich plötzlich nicht sicher war, wie viel er wissen wollte. Hatte Kaspar
Weitere Kostenlose Bücher