Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
Krankenbesuche abzustatten. Betroffen begleitete er sie die Treppen hinunter. An der Ausgangstür aber tastete er nach ihren Fingern und brachte zaghaft hervor: „Ich gäbe was drum, dich abends zu deinen Patienten fahren zu können.“
Sie wollte erst stumm zur Tür hinausgehen, konnte dann aber doch nicht anders, als ihm leise zu antworten: „Ich auch, Waldur.“
N icht nur Siglind, alle Frowanger waren jetzt überfordert und wurden es von Tag zu Tag mehr. Besonders die Mütter, die ihren nach Essen jammernden Kindern kaum noch etwas anbieten konnten. Denn wegen Ritter Ulrichs unerwarteten Eintreffens hatten ihre Männer das Besorgen der Wintervorräte viel zu früh abbrechen müssen, weshalb die wenigen Lebensmittel, die sie bis dahin nach Hause gebracht hatten, mittlerweile nahezu aufgebraucht waren. Wiltrud musste bereits die ersten Notreserven verteilen. Zudem war dieser Winter besonders frostig, und was noch verhängnisvoller war, die Wetterkundigen prophezeiten, der Frost werde heuer bis zum Winterende unvermindert anhalten.
B ald waren die ersten Todesopfer zu beklagen, Franken, wie Frowanger. Der Situation entsprechend, schnitt des Knochenmanns Sense im Soldatenlager um vieles erbarmungsloser zu. Ein Grauen dort, täglich Tote -zwei . . , vier . . fünf, und ständig erkrankten neue. Die Cholera, vermutete Ulrich, und die noch halbwegs kräftigen Burschen mussten Morgen für Morgen ihre verstorbenen Kameraden durch den Schnee die Stadt hinauskarren, sie dort verbrennen und ihre Asche in ein vorbereitetes Massengrab schippen.
M it diesen täglichen Trauerzügen bekamen die Frowanger das vor Augen, was Chlodwig ihnen zugedacht hatte. Ein Triumph für sie? Nein. Hätten sie noch irgendetwas übrig gehabt, jetzt hätten sie es den hohlwangigen, schreckensäugigen Leichentransporteuren in die Taschen gesteckt. So aber hatten sie nur mitfühlende Worte für sie. Doch die Besatzer umgekehrt auch für die Frowanger, denn kein Tag, an dem nicht auch sie mindestens ein Opfer der hiesigen Not zu bestatten hatten, meist Greise oder, was konnte das Drama noch überbieten, schmerzlich beweinte Kleinkinder.
E rst zum Frühlingsbeginn setzte endlich Tauwetter ein. Inzwischen war bereits Ulrichs zweiter Kurier mit der täglich länger gewordenen Toten- und Krankenliste der Soldaten sowie der dringenden Bitte, um Auswechsel der Besatzer unterwegs zu Chlodwig.
Doch von Chlodwig kam noch immer nichts, kein Schreiben, keine mündliche Botschaft, nichts.
D eshalb nahm Ulrich das Zepter kurz entschlossen selbst in die Hand. Er schritt am Ostersonntag durch die eng belegte Krankenherberge seiner Soldaten von Matratze zu Matratze, wählte alle aus, die ihm transportfähig schienen und versprach ihnen, sie morgen nach Hause befördern zu lassen. Achtundvierzig Mann bekam er zusammen. Anschließend ließ er mit Hilfe der Heilkundigen Fuhrwerke für den Transport ausstaffieren, ließ am nächsten Morgen die Kranken hineinbetten und schickte sie mit zehn Betreuern nach Soissons. An Chlodwig aber gab er, mit dick unterstrichener Datumsangabe, einen geharnischten Brief mit, in dem er ihm ankündete, er werde fortan jede Woche alle Neuerkrankten mit Begleitpersonen nach Soissons schicken. Und nach genau fünf Wochen vom heutigen Tag an, werde er selbst mit dem verbliebenen Heer Frowang verlassen, ob nun neue Soldaten eingetroffen seien oder nicht.
O u, war das ein Schlag für Chlodwig. Einmal Ulrichs knappes Ultimatum, und zum zweiten wagte sich nun kein Soldat mehr nach Frowang, da die Heimgekehrten sie warnten, dort wüte die Cholera. Bis zu ihrer Abreise seien bereits zweihunderteinunddreißig Soldaten daran gestorben, und fast ebenso viele hätten totkrank auf ihren Matratzen gelegen.
Tja, Chlodwig, und was nun? Bekommst du nicht binnen drei Wochen ein Heer für Frowang zusammen, dann Alemannenschloss ade. - Oui, ist mir klar. Aber jetzt aufgeben? Ausgerechnet jetzt, wo ihnen unsere Engel eine vernichtende Epidemie geschickt haben? Non, ich krieg die Soldaten zusammen.
Und es gelang ihm. Wie? - Ahhh, das konnte wieder nur ihm eingefallen sein. Er ritt umgehend zu seinem Kölner Castel, lud alle dortigen Soldatenfrauen zu sich in den Castelhof ein, und als sie dann dort versammelt waren, versprach er ihnen das Blaue vom Himmel, wenn sich ihre Männer in zehn Tagen frühmorgens hier einfänden, um für drei, vier Monde nach Frowang zu ziehen, wo natürlich nie und nimmer die Cholera herrsche.
So machte er das, und so bekam er
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