Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
müssen.
Hätten Chlodwigs Orakelspielereien ihm allerdings aufgedeckt, welch liebreizendes Erlebnis in einem völlig anderen Land ihm dadurch entgehen würde, er wäre mindestens so vergnügt nach Hause aufgebrochen wie seine Mitschüler - ohne Waldur.
So aber traf er nach einem bewusst bummeligen Ritt, während dem es ihm tatsächlich einige Male penetrant im Schädel gezackt und gezurrt hatte, missmutig auf der Merowingerburg ein. Wo er sich aber nur wenige Tage aufhielt. Denn seine Mutter, eine gebürtige Thüringerin, nahm ihn kurzerhand zur Auffrischung seiner Stimmung mit in ihr Heimatland, um einige Wochen bei ihren lange nicht mehr gesehenen Verwandten zu verbringen.
Im Haus von Königin Basinas Cousin Rhoder, dem hiesigen Gaugrafen, eingetroffen, dauerte es dann nur wenige Stunden, und Basina beobachtete an ihrem Sohn einen Stimmungsumschwung, seine Übellaunigkeit wich einer sich steigernden Galanterie. Denn hier lernte er Rhoders zierliche, rothaarige Tochter Uta kennen, die ihn nicht nur mit ihrem Anblick, sondern auch mit ihrer lebhaften Intelligenz bis ins Mark in Vibration versetzte. Trotz bereits mehrerer Liebschaften hatte bislang noch keine Jungfer sein Herz so hoch schlagen lassen wie Uta. Deshalb umwarb er sie während der nächsten drei Wochen seines hiesigen Aufenthalts, wie er nur konnte, und sein Pulsschlag überschlug sich fast, als er ihrer Zuneigung gewiss wurde.
Am letzten Abend gestanden sie sich ihre Liebe.
D och so glücktrunken Uta und Chlodwig seitdem auch waren, ihre Liebe wird unserer Geschichte noch eine folgenschwere Wende verleihen.
Die Ferien, ein jeder hatte sie auf seine Weise ausgekostet, waren verflossen, und das neue Schuljahr erwies sich für die Hohen Ratsstudenten vom ersten Tag an als noch anspruchsvoller, als das vorangegangene.
Vornehmlich für Chlodwig. Der wusste deshalb jetzt besonders zu schätzen, dass er den Vorzug genoss, bei Waldur im Alemannenschloss zu wohnen. In dem großen, vornehmen Alemannenschloss, das so ganz seinem Geschmack entsprach. Doch so heimisch er sich darin auch fühlte und so sehr ihn das Fürstenpaar wie auch die Prinzessin ringsum verwöhnten, ihn überfiel sporadisch quälendes Heimweh. Nicht nach der Merowingerburg, vielmehr nach seiner Familie, die ihm alles bedeutete, die er fast schon krankhaft liebte, sowohl seine Eltern wie auch seine Geschwister, vielleicht am meisten seinen leicht geistesgestörten und dennoch so pfiffigen Bruder Alverich. Bald sollte er jedoch überraschend seine Familie wieder sehen, wiewohl der Anlass dazu alles andere als freudig war.
Der Sommer hatte gerade erst seinen Gipfel erreicht, als ihm ein fränkischer Herold die Nachricht überbrachte, sein Vater sei erkrankt, weshalb seine Eltern ihn bäten, nach Hause zu kommen. Chlodwig, völlig verschreckt von dieser Nachricht, begab sich umgehend auf den Weg nach Salien.
D arauf sorgte sich Waldur um seinen Freund, jeden Tag mehr. Denn er wusste, wie viel Chlodwig täglich in der Schule versäumte, besonders bei Ethne, die in letzter Zeit ohnehin unzufrieden mit ihm gewesen war.
Doch nach insgesamt nur drei Wochen stand Chlodwig gegen Abend auf Meister Eriks Kunstgelände, um den überraschten Waldur abzuholen.
„Du siehst, Blutsbruder, ich bin schneller als die Post“, lachte er nach ihrer freudigen Begrüßung, und auf Waldurs Frage nach seinem Vater beruhigte er ihn: „Ist halb so schlimm, die Hofärztin sagt, papa habe einen leichten Hirnschlag gehabt. Doch es geht ihm wieder recht gut.“
Gemächlich gingen sie durch die belebten Gassen zum Schloss, und obschon Chlodwig, wie stets, nach rechts und links den Frowangern teils fröhliche, teils witzige Grußworte zurief, merkte Waldur ihm ein Missbehagen an.
Auf dem Mainuferweg angelangt, gab Chlodwig endlich seinen Verdruss preis - er ärgerte sich über seine Mutter. Sie behandle ihn noch immer wie einen Bubi, beklagte er sich. Da habe sie ihn gebeten, sich doch mal Gedanken über die salische Regierung zu machen, und als er seinen Eltern darauf eine schon lange ausgeklügelte Idee vorgetragen habe, sei sie aus der Haut gefahren. Waldur verwunderte, wie respektlos Chlodwig auf einmal von seiner geliebten maman sprach, weshalb er sich erkundigte, um welche Idee es sich denn handle. Darauf hielt Chlodwig ihn am Ärmel zurück, blickte an ihm vorbei in einen entfernten Baumwipfel, und legte ihm dar:
„Pass auf, mon ami. Meine Eltern sollen versuchen, unsere vierzehn fränkischen Sippenstämme, die ja
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