Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
vergingen ihm seine mitunter recht gesalzenen Koboldeinlagen, da er vollauf damit beschäftigt war, seine Versäumnisse nachzuholen. Außerdem musste er nun von Ethne immerfort Kritik einstecken, oftmals vor den Ohren aller Mitschüler. Hart für ihn, wie Ethne wusste, aber es war nach allen bisher vergeblichen Bemühungen das letzte Mittel, um seinen Ehrgeiz und den damit einhergehenden Geltungsdrang zu dämmen.
An einem der nächsten Unterrichtstage verschonte Ethne ihn überraschenderweise mit Tadel, vielmehr brachte sie ihm solche Herzlichkeit entgegen, dass er sich für all die bisher erduldete Kritik entschädigt fühlte. In ihrem langen, weißen Druidengewand stand sie lächelnd im Halbkreis ihrer im Gras sitzenden Schüler, wobei ihr groß gewelltes Glashaar in der Sonne glitzerte, als sei es mit Sternenstaub gepudert. Ethne, die strenge und dabei so viel Liebe ausstrahlende Hohe Priesterin.
„Wie angekündigt, beschäftigen wir uns diesmal mit den verschiedenen Daseinsformen des Menschen nach seinem irdischen Tod“, begann sie ihr heutiges Thema. „Euch ist nicht neu, dass der Mensch viele Male in den Midgard, auf die Erde, wiedergeboren wird, doch wie die Zeit zwischen zwei Midgardleben aussieht, in welchen Reichen sich der Mensch dort der Reihenfolge nach aufhält, ist euch unbekannt, und das will ich euch darlegen.
Viele vermeinen, im Jenseits werde nach Religionen eingeteilt, was natürlich ein Irrtum ist. Denn im Kern sind alle ernst zu nehmenden Religionen gleich, auch wenn sich ihre Gründer verschiedener Ausdrucksweisen bedienten. Deswegen an dieser Stelle nochmal - seid stets allen Glaubensrichtungen gegenüber offen, was gerade im derzeitigen, so gewaltigen Kulturumbruch vonnöten ist.
Nun, nachdem sich der Mensch aus seinem Erdenkörper und der dazu gehörenden Ätherhülle herausgelöst hat, ist sein Bewusstsein zunächst vollständig eins mit seinem Gemüt, dem fein gegliederten Astral- oder Nifelleib. Er ist und kennt dann also nichts als das Gemüt, alles andere ist ihm fremd, auch der Verstand. So gelangt er in seine neue Heimat, in das Nifelheim, das ebenso reichhaltig bevölkert ist wie unser Midgard. Je nachdem, wie nun ein Mensch auf Erden gelebt hat und demgemäß sein Gemüt beschaffen ist, gerät er hier in eine der höheren, mittleren oder niederen Regionen - wobei uns die niederste Region, das Helheim, ja ein grauenvoller Begriff ist, ebenso wie den Christen, die sie als Fegefeuer oder gar Hölle bezeichnen. In welche Region ein Mensch auch immer gerät, jeder folgt dann dem Drang, sich im Nifelreich nach oben zu arbeiten. Keine Frage, dass dies vom Helheim aus am längsten dauert, nicht selten Jahrhunderte.
Wie auch immer, schaffen tut es letztendlich jeder. Hat der Mensch schließlich die oberste Grenze des Nifelheims erreicht, dann legt er glücklich seinen ausgelebten Nifelleib ab, er stirbt den Gemütstod. Darauf gleitet er in das darüber liegende, freundliche Mental-, das schiere Intellektreich. Auch das durchwandert er - wenngleich weitaus geschwinder als das Nifelreich - von unten nach oben und streift am Ende seine Mentalhülle ab.
Mithin ist sein Bewusstsein jetzt eins mit seinem weisen, unsterblichen Kausalkörper, und er gelangt in das Licht glänzende Kausalreich, wo er vor den Urd-, den Schicksalsbrunnen tritt. Dort verwalten himmlische Wesen, die Lipika, das göttliche Gesetz von Ursache und Wirkung, dem jeder und alles im Kosmos unterliegt. Sie bieten dem Angekommenen Einblick in das ‚Buch des Lebens’, indem sie ihm seine persönliche Seite vorführen. In die haben sich die Keime all seiner bisherigen irdischen Gedanken und Taten als Runenbilder eingezeichnet - flüchtige und kräftige Runen, schöne, weniger schöne wie auch abschreckend widerliche. Die gleichen, wie in seinem Schicksals-, dem Kausalkörper. Und der Mensch begreift, diese Runen sind Ursachen für seine künftigen Erdenschicksale.
Das löst den Wunsch in ihm aus, seinen Kausalkörper zu bereinigen, ja, zum Leuchten zu bringen. Beflügelt von diesem Gedanken, wird er unversehens eins mit seiner höheren Seele. Und siehe da, im gleichen Moment öffnet sich ihm der Vorhang zum Dewachan, dem Gold strahlenden Seelenparadies, in das er hinein fliegt. Und hier erlebt er fortan, ganz nach Aufgeschlossenheit seiner höheren Seele, Freuden und Glückseligkeiten, wie sie sein Gemüt nicht annähernd gekannt hatte.
Ist dann die rechte Zeit gekommen, zieht es ihn neuerlich in den Midgard, um sein Schicksal
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