Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
und dort blieb er stehen, um lange nicht gesehene Freunde zu begrüßen, nahm auch mal einen Schluck Bier aus den von Hand zu Hand gereichten Trinkhörnern und tanzte mit einer Jungfer ein paar Takte um das Sonnwendfeuer. Plötzlich entdeckte er wenige Schritte vor sich Chlodwig. Er zuckte zusammen, wollte kehrtmachen, konnte aber seinen Blick nicht von ihm lösen - was hatte sich dieser Ulkvogel da bloß wieder einfallen lassen. In bunte Fetzen wie ein Marktschreier stand er breitbeinig vor einigen lachenden Jungfern und Burschen auf einem Bierfass und schmetterte mit seiner Trompetenstimme einen Gassenhauer. Jetzt entdeckte er Waldur. Darauf brach er seinen Heldengesang ab und winkte ihn zu sich. Als Waldur sich jedoch trotzig von ihm abwandte, sprang er mit einem Satz von dem Fass, lief zu ihm und erkundigte sich aufgeregt: „Wo hast du bloß die ganze Zeit gesteckt?“
„Ei, ich war halt . . “, setzte Waldur zu einer ausweichenden Antwort an, doch Chlodwig unterbrach ihn, indem er mit bewegter Stimme vorbrachte:
„Blutsbruder, wir dürfen uns nie wieder so lange trennen.“ Waldur konnte ihn nur unverständig anschauen, während Chlodwig sein Geständnis fortsetzte: „Diesmal sage ich die Wahrheit, mon ami“ - er sprach tatsächlich die Wahrheit - „wir dürfen uns nie wieder so lange trennen. Du ahnst nicht, was ich in den zwei Monden mitgemacht habe, das“, er stockte kurz, „ehrlich, das könnte ich kein zweites Mal ertragen.“
Darauf verwandelte sich Waldurs Grimm in eine erlösende Freude, und aus der heraus beschimpfte er Chlodwig lachend: „Du gemeiner . . , du fieser . . , du - du einmaliger Halunke!“
O h, diese zwei von Grund auf so verschiedenen und innerlich dennoch zusammen geschmolzenen Burschen, niemand konnte ihre Freundschaft je begreifen.
Kapitel 5
Ab Frühsommer 481
A m Ostrand Frowangs erhob sich der Druidenhügel mit seiner Schule. Das Schulgebäude, mit einer Sternwarte unter dem Dach, war ein vierstöckiger Steinbau, noch älter und mit seinen Goldverzierungen prächtiger als das Schloss. Es zeugte für den alemannischen Wohlstand. Neben diesem stattlichen Gebäude lag die weitaus jüngere und schlichtere Herberge für die rund fünfzehnhundert Studenten, sie bestand aus sieben lang gezogenen, zweistöckigen Blockhäusern, die sternförmig angeordnet waren.
Man kann die Druidenschulen, von denen seinerzeit im gesamten Keltenreich allenfalls noch ein Dutzend existierten, mit unseren Universitäten vergleichen, mit ähnlichen Grundwissenschaften wie heute. Nur mussten sich die Druidenschüler ihr Studium selbst verdienen, indem sie in der Stadt samt ihrer Umgebung zu den verschiedensten Dienstleistungen und im Herbst alle zu Erntearbeiten eingeteilt wurden.
Die verschwindend wenigen angehenden Ritter unter ihnen erfuhren hier den schwierigsten Abschnitt ihrer Ausbildung, den Schliff zum Hohen Rat, also zum Edelmann, denn sie wollten ja mal eine höhere Funktion in der Regierung ausüben. Mindestens drei, meist jedoch vier oder auch fünf Jahre wurden sie hier geschult, stets gemeinsam mit einigen Jungfern, die ebenfalls in den Adelsrat strebten.
I n Frowang erlebten heute sieben neue Junker und mit ihnen vier Jungfern dieses Studiums ihren ersten Schultag. Die Sonne schien heute besonders warm vom Himmel, weshalb Ethne ihnen ein schattiges Plätzchen auf dem Hügel ausgewählt hatte, wo sie nun im hohen Gras saßen, Chlodwig natürlich neben Waldur, und Ethnes Einführungsworten lauschten:
„Die Hohe Ratsausbildung gilt als hart, doch lasst euch davon nicht abschrecken, ihr werdet bald herausfinden, dass es bei uns auch amüsant zugeht. Ebenso schnell werdet ihr erkennen, dass es bei diesem Studium nicht nur um den Verstand, sondern gleichermaßen um Seelenstärke geht, die sich auch der Klügste erst erarbeiten muss. Eure Lehrer werden euch dazu Konzentrationsübungen beibringen, und ich euch später Meditationen, Selbstversenkungen. Und einige Vorkenntnisse zu diesen Übungen werde ich euch nun vermitteln.“
Ethnes Antlitz verklärte wieder dieser seherische Ausdruck, als sie begann: „Global betrachtet setzt sich die Menschenseele aus zwei Regionen zusammen, innen die feinere, in der vergessen unser wahres Ich ruht, und außen die gröbere, das Gemüt, das sich für unser Ich ausgibt. In der feineren Region schlummern die hohen Tugenden, wie Edelmut, Weisheit und Barmherzigkeit, weshalb es gilt, diesen Seelenbereich zu erwecken.
Das ist nicht leicht, denn das Gemüt,
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