Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)
hatte keine Zeit, um wählerisch zu sein. Die Spitze des Metalls glühte in hellem Rot und bei dem Gedanken, wozu die Eisen da steckten, spürte sie, wie ihr Innerstes aufweichte und zu Sülze gerann. Energisch riss sie sich selbst herum und hetzte mit dem Eisen in der Hand zur Klappe. Sie zwängte die Spitze zwischen Öse und Bügel des Schlosses und drückte kräftig. Es zischte und stank nach verschmorter Farbe. Im Aufenthaltsraum hörte sie einen Stuhl rücken und jemanden aufstehen. Ihr Herz schlug panisch und Übelkeit kam hoch, aber sie ließ nicht nach in ihren Bemühungen. Das Schloss war neu und gut geschmiert. Überhitztes Öl rauchte. Es knackte, die Nägel sprangen aus dem Holz. Hastig fing sie einen Nagel auf, bevor er auf den Stufen klirrte. Die Klappe öffnete sie mit dem Rücken und legte die noch immer glühende Stange auf die oberste Treppenstufe. Nichts rührte sich in der Kapelle. Gut. Luzia schlüpfte aus der Falltür und ließ sie lautlos wieder herunter. Kein Mensch in dem Gotteshaus, dem Herrn sei Dank. Jetzt sah sie den Mechanismus der Tür. Wie vermutet, handelte es sich um einen einfachen Schieberiegel, den legte sie vor. In der Kanzel standen ein Hocker und ein Bücherhalter auf einem Ständer. Ein heftiger Tritt löste den Ständer vom Stiel des Bücherhalters und mit Hilfe des Hockers verklemmte sie die Falltür gegen die Kanzel. Und dann rannte sie.
Als sie die Eingangstür der Kapelle erreichte, blieb sie stehen und spähte hinaus. Ihre Knie zitterten so sehr, dass sie sich an der Wand festhalten musste, um nicht umzufallen. Luzia, nimm dich zusammen, es ist noch nicht vorbei . Ein Griff überzeugte sie, dass ihr Tuch gut auf den Haaren saß, sie strich über den Rock und zog die Manschetten herunter, damit man nicht die Verbände sah. Sittsam faltete sie die Hände vor ihrem Schoß und senkte den Blick. Sie ging durch die Tür und sah sich verstohlen um, konnte aber niemanden entdecken. Jetzt rannte sie wieder. Es gab keinen anderen Weg als nur den Berg hinunter. Mit weiten Schritten sprang sie über jedes Hindernis und langte in wenigen Minuten am Steg an, wo sie das Papier zerreißen musste. Ein Grinsen erschien auf ihrem Gesicht, als sie daran dachte, wie sie dem Inquisitor ein Schnippchen geschlagen hatte. Sie blieb stehen, zog ihren Rock glatt und atmete tief durch. Jetzt nur noch diese Wegbiegung, dann war sie am Stadttor. Wieder das brave Mädchen, gefaltete Hände, gesenkter Blick und ruhig atmen. Und weiter.
Sie konzentrierte sich so sehr auf gleichmäßige Schritte, dass sie beinahe in den Wachtposten vor dem Tor gerannt wäre. Kurz vorher bog sie ab und musste all ihre Beherrschung aufbringen, dass sie nicht wild losspurtete. Langsam, ganz normal, Luzia. Sie fühlte die Augen der Wachen sich wie Pfeilspitzen in ihren Körper bohren. In ihrem Rücken erwartete sie jeden Moment den Ruf des Postens. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht bei jedem Schritt zurückzusehen. Endlich hatte sie das Tor hinter sich gebracht und trat über das Pflaster der Stadt. Immer weiter ging sie, am Rathaus vorbei über den Marktplatz in eine Nebenstraße. Am liebsten hätte sie sich jetzt gegen eine Wand gelehnt und ausgeruht, aber sie zwang sich zum Weitergehen. Ihre Gedanken begannen zu fliegen. Ich habe es geschafft. Ich habe es wirklich geschafft! Noch immer raste ihr Herz, zitterten die Knie. Schließlich erlaubte sie sich stehenzubleiben und sah sich um. Wo war sie hier überhaupt? Der Weg zu ihrer Unterkunft lag genau in die andere Richtung. Aber das Zimmer nützte ihr nichts, dort suchte man sie zuerst. Die Böttcherin würde sie gar nicht hereinlassen. Und was wollte sie überhaupt da? Ihre Sachen steckten ja alle an der Amorquelle, abgesehen von denen in der Obhut des Inquisitors. Sie stand gerade einmal zehn Schritte von dem Haus entfernt, in das Balthasar Noß sie geführt hatte. Magdalene. Vielleicht konnte die ihr helfen. Sie rannte die restlichen Schritte und zog an der Klingelschnur.
Kapitel 6 - Der Gelehrte
E s dauerte so lange, dass sie gerade ein zweites Mal die Schnur ziehen wollte, da kam ein Mädchen und starrte sie entsetzt an, Erkennen stand in ihren Augen. Genauso hätte sie herausschreien können: »Die Freundin des Inquisitors!« Nach einem deutlichen Schlucken hielt sie Luzia die Tür auf. Wortlos ging sie voran in das bekannte Esszimmer und verließ Luzia, ohne die Tür zu schließen. Aus einem anderen Raum hörte sie eine laute Männerstimme. Was er sagte,
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