Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)
Ruhe?«
»Doktor Wegener, das ist doch wohl offensichtlich. Eure Schwester ist eine Hexe. Es ist meine Berufung, solche Frauen zu erkennen und die Gefahr zu beseitigen, die von ihnen ausgeht. Mit juristischen Haarspaltereien gelang es Euch zweimal, sie der Wahrheitsfindung zu entziehen. Das ändert aber nichts an den Tatsachen. Beide Anklagen konnten nicht aufrecht erhalten werden, aber meine Befragung hat Aspekte enthüllt, die ich jetzt meinerseits für eine Anklage benutze. Nehmen wir einmal an: Ein Dieb wird auf dem Markt erwischt, wie er etwas einsteckt. Bei der Festnahme verrät er sich den Stadtwachen, ein lange gesuchter Mörder zu sein. Soll die Wache jetzt sagen: Nein, das geht mich nichts an, ich bearbeite nur diesen Diebstahl? Genauso geht es mir mit Eurer Schwester. Zweimal wurde sie verdächtigt und es erwies sich als blinder Alarm. Aber während des Verhörs verriet sie sich, viel schlimmerer Verbrechen schuldig zu sein. Nur durch Euer überstürztes Handeln wurde verhindert, dass ich die Anklage rechtzeitig formulieren konnte. Das ist jetzt vorbei. Man sucht und verfolgt sie unbarmherzig, bis ich sie ihrer gerechten Strafe zuführe.«
»Das ist doch völlig aus der Luft gegriffen! Was auch immer sie Euch gesagt haben soll, das war nur ein Produkt der Folter! Niemals würde sie das vor Zeugen wiederholen!«
»Ach, lieber Herr Doktor Wegener, Ihr verkennt da eine ganz entscheidende Tatsache: Sie ist nicht mehr das kleine Schwesterlein, das Ihr beschützen müsst. Ohne Euer Wissen hat sie sich Fähigkeiten angeeignet, die auch Euch gefährlich sind. Seht Ihr denn nicht, dass auch Ihr mitten in ihren teuflischen Fängen steckt? Sie heuchelt mit der Hilfe Satans so überzeugend Unschuld, dass jeder darauf hereinfällt!«
Urplötzlich ließ Lukas all seine Wut aus sich heraus und sprang auf den Zentgrafen zu, packte ihn an seinem Wams, schleuderte ihn herum, stieß ihn über den Flur. Mit Wucht drückte er ihn gegen den Uhrenkasten. »Der einzige Teufel hier seid Ihr! Geißelt Euch, wie Ihr nur wollt, Ihr werdet den Satan nie aus Euch herausbrennen können!«, brüllte er.
Sofort sprangen die beiden Knechte heran. Sie zogen Lukas von dem Zentgrafen weg. Der strich über die Aufschläge seines Rocks. Als einer der Knechte mit der Faust ausholte, hob Noß die Hand. »Lasst ihn, ich zürne ihm nicht. Er ist ein Opfer dieser Hexe und für seine Handlungen nicht verantwortlich. Halten wir uns nicht auf. Der Erzbischof erwartet mich.«
Im letzten Moment gelang es Luzia. Es machte keine große Mühe, den Gegenstand auszutauschen, erforderte aber Präzision und ein Mindestmaß an Zeit. Das war genau der Punkt. Lukas hatte ihr diese Zeit gegeben. Es hatte ausgereicht. Heilfroh stieß sie den Atem aus und hielt gleich darauf die Hand vor den Mund. Nein, draußen schnaubte Lukas im Griff der Knechte, da hörte niemand ihren Hauch. Jetzt durfte ihr Herz sich wieder beruhigen. Sie schob lautlos das ausgesägte Stück Holz zurück an seinen Platz im Uhrenkasten. Niemand hatte etwas gemerkt. Vor Erleichterung sank sie in die Knie.
Zentgraf Noß strich sich noch einmal über den Rock, straffte die Schultern und ging auf das Arbeitszimmer des Erzbischofs Johann Schweikhard zu. Ohne anzuklopfen betrat er das Vorzimmer, während die beiden Knechte davor stehen blieben. Lukas lehnte sich gegen den Uhrenkasten. »Luzia?«, fragte er leise.
»Erledigt!«, raunte sie ihm zu.
Er atmete tief durch, dann straffte er seine Gestalt und ging festen Schrittes Richtung Ausgang, während Doktor Patrizius dem Zentgrafen hinterher eilte.
Das Klacken, als die Tür des Uhrenkastens sich öffnete, war so leise, dass die beiden Männer vor dem Vorzimmer es nicht hören konnten, zumal sie sich lebhaft über den Angriff von Lukas amüsierten. In ihrem schmutzigbraunen Kleid mit dem Putzeimer und dem Lappen in der Hand schlurfte Luzia langsam über den Flur. Sie hielt den mit einem grauen Tuch verhüllten Kopf gesenkt und ging an ihnen vorbei durch die Tür neben dem Vorzimmer. Der Raum wurde als Aktenarchiv genutzt. Gerlinde kannte sich genau hier aus und wusste von der Durchreiche, die auf der anderen Seite mit einem Bücherschrank des Erzbischofs verstellt war. Luzia schob die Klappe lautlos einen Spalt auf und spähte hindurch. Das bedeutete ein Risiko, aber sie konnte es sich einfach nicht verkneifen. Wochenlang hatte sie geplant und gebastelt und genaue Recherchen eingeholt, da konnte sie einfach nicht widerstehen, die Ausführung
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