Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)
höheren Stände und Hängen für die Niederen. Je nach Anzahl und Stand der Opfer wurden dann die Hinrichtungen zunehmend bestialischer. Einen lange gesuchten Raubmörder vierteilte man. Einen Königsmörder weidete man aus und kochte den Rest, während er noch bei Bewusstsein war. Die verwesenden Einzelteile stellte man an Kreuzungen der Hauptwege aus. Das vertrocknete Gerippe vergrub man in möglichst vielen Einzelteilen an mehreren Straßen.
Und dann gab es noch die Hexenprozesse. Wenn eine öffentliche Hinrichtung immer eine unangenehme Sache war, die man nur aus Pflichtgefühl besuchte, waren die Hinrichtungen einer Hexe ein Volksfest. Endlich eines der undurchschaubaren, grausamen Wesen weniger, die Unglück bescherten und für alles verantwortlich waren, was Schlimmes passierte. Hexen riefen Unwetter herbei, die Ernten vernichteten, verseuchten Trinkwasser, ließen Säuglinge in der Wiege sterben, bewirkten Kindbettfieber und trugen an Seuchen Schuld. Wenn ein Edelmann eine falsche Entscheidung traf, steckte eine Hexe dahinter. Sprach ein Richter ein Fehlurteil, flüsterte es ihm eine Hexe ein. Niemand erkannte Hexen, weil sie so heimtückisch am Untergang der Tugend arbeiteten. Nur selten verrieten sie sich. Wenn viele Unglücke auf einmal passierten, konnte man ihren bösen Odem gewahren. Darum war jeder Verdacht zu melden. Der Denunziant ging kein Risiko ein, denn außer dem Ankläger erfuhr niemand davon. Die Inquisition arbeitete im Geheimen. Kam man zu der Überzeugung, dass es sich tatsächlich um das Verbrechen der Hexerei handelte, wurde der Inquisitor gerufen. Er suchte die Wahrheit und verurteilte. Seinem Urteil war zu vertrauen. Das Volk jubelte, wenn er es von einer der grässlichen Unholdinnen befreite. Keine Strafe wog zu schwer für diese Satansdienerinnen.
Ob jemand an einer Seuche starb oder sogar wieder genas, um weiterhin im Jammertal zu leiden, war die Willkür des Bösen. Hexen untergruben die Moral, verursachten Schicksalsschläge, reduzierten die Bevölkerung und gruben der Kirche ihre Macht ab. Wer an des Kaisers Stuhl sägte, war ein Verräter, wer an dem Stuhl des Papstes sägte, eine Hexe.
So war das. Dafür, dass jeder ehrbar und glücklich leben konnte, standen der Kaiser und die Heilige Mutter Kirche.
Aber waren wirklich alle Hexen?
Gab es nicht auch genügend andere Gründe für Verfehlungen der Staatsoberhäupter, für Unwetter und Krankheiten? Konnte es nicht sogar umgekehrt sein, dass Gott die Menschen für ihre Grausamkeit anderen gegenüber strafte mit Kriegsnot und Pest? Luzia war drastisch vor Augen geführt worden, wie schnell man als Hexe angeklagt werden konnte. Sie als wandernde Diebin hatte da ein besonders hohes Risiko. Nicht allein, dass ihr immer die Strafe des Handabhackens vor Augen stand, wenn sie einmal zu unvorsichtig war, als Fremde wurde sie womöglich zuerst beschuldigt, wenn etwas Ungewöhnliches passierte. Vielleicht sollte sie doch sehen, dass sie sesshaft und ehrbar wurde. Ein Handwerksbursche war eine Möglichkeit, der sie wegen ihrer Gulden nahm, die von dem letzten Raubzug übrigblieben. Aber es gab auch Besseres.
Da gab es Lukas. Immer häufiger verbrachten sie ihre Stunden miteinander, sei es im Laboratorium oder in der Wohnung. Seine Arbeit faszinierte sie und die Unterhaltungen führte er amüsant. Niemals würde Lukas ihr Angebote machen oder sogar zudringlich werden, obwohl ihm das als Edelmann durchaus zustand. Er genoss nur ihre Anwesenheit. Allerdings wusste Luzia nicht, wie sie ihn dazu bringen sollte, sich ihr doch anzunähern. Auf keinen Fall wollte sie kokett oder unkeusch wirken. Jede Initiative musste von ihm ausgehen. Die würde aber nicht kommen, bis sie diese Angelegenheit beendet hatten.
Bevor sie Noß nicht los waren, hatten sie allesamt keine Ruhe. Er würde sie verfolgen, wohin immer sie flohen. Das musste also getan werden. Und jetzt stand Luzia hier eingequetscht in einem muffigen Uhrenkasten und wartete darauf, diesem Scheusal einen peinlichen Schlag zu versetzen.
Noch vor Morgengrauen hatte Theresas Tochter Gerlinde sie als Putzfrau hier eingeschleust. Trines und Theresas Mutter war als Hexe verbrannt worden, weil sie nicht das Trauerjahr nach dem Tode ihres trunksüchtigen Mannes eingehalten hatte. Gegen einen Mann, der solcherlei verursachte, arbeitete Trines große Familie gerne zusammen.
Luzia befand sich im Palast des Erzbischofs und sie hatte die spiegelnden Marmorböden gewischt bis zu dieser Standuhr. Es
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