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Die Hexe soll brennen

Die Hexe soll brennen

Titel: Die Hexe soll brennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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verliebt hatte, als er auf das Gegeifer der Menschen nichts gegeben, sie zu seinem Weib gemacht und weggebracht hatte. In Pfatter, im kleinen Pflegeschloß, hatte sie dann Frieden finden dürfen. Die Tochter des Notars, die über ihre Geschlechtsgenossinnen hinausragte, weil sie selbst Lesen und Schreiben gelernt hatte, war nicht länger verachtet. In Pfatter wußte niemand von dem Fluch, der ihre Familie getroffen hatte. Es hatte in dieser Gegend auch lange keine Hexenverfolgungen mehr gegeben.
    »Und nun müssen die Regensburger Kapuziner in dieses verdammte Hornissennest stochern«, murmelte Kaspar Michel wütend, während er den Brustharnisch aus dem Kasten nahm und Anne rief. Denn allein würde er die verdeckt angebrachten Schnallen nicht schließen können. Kaspar hatte seinem Weib in der Nacht gesagt, was ihn heute erwartete. Sie hatte verstört reagiert, und jetzt schien sie auch seinen Ruf überhört zu haben.
    Der Pfleger nahm den Harnisch mit und verließ den Raum. In der Küche fand er Anne nicht, aber dann hörte er ein Geräusch aus seiner Schreibstube. Anne kauerte am Pult, hatte den Nacken vorgebeugt, die Schultern wie schützend nach oben gezogen und schien zu lesen.
    »Was hast du da?« fragte Kaspar.
    Sie fuhr herum, zeigte ihm ihr zerquältes Gesicht, die vom Weinen geröteten Augenlider. Mitleid und Liebe schnürten dem Pfleger die Kehle zu. »Was liest du da?« wiederholte er gepreßt und trat näher. In der Hand pendelte schwer der Harnisch.
    »Das Buch, das mein Vater sich heimlich besorgte, das er mir schenkte, als ich mit dir wegzog«, antwortete Anne. »Du kennst es.«
    »Das vom Spee? Vom Jesuiten?«
    »Die Cautio Criminalis – Rechtliche Bedenken wegen der Hexenprozesse.« Anne übersetzte stockend und mühsam.
    »Und das mußt du ausgerechnet jetzt hervorkramen? Du sollst dich nicht selbst quälen, mein Herzblut!«
    »Dieses Buch quält mich nicht. Gerade heute will ich es in der Hand halten!«
    Der Pfleger seufzte. »Hilf mir mit dem Harnisch«, bat er.
    »Du willst wirklich reiten?«
    »Ich will nicht. Ich muß.«
    Das Buch, kleinformatig, unauffällig gebunden, blieb aufgeschlagen auf dem Pult liegen. Anne tat ihre Pflicht. Der Oberkörper ihres Mannes, den sie noch wenige Stunden zuvor nackt an ihrem eigenen gespürt hatte, verschwand hinter gewölbtem Stahlblech. Anne stopfte das wollene Untergewand unter den Armöffnungen und am Hals fest, zwängte die Schnallen zueinander, mühte sich mit widerspenstigem Riemenzeug. Brust- und Rückenpanzer fügten sich aneinander. Der Pfleger reckte den Hals und rang nach Luft.
    »Du hättest nach Geisling melden können, daß du krank bist«, sagte Anne.
    »Der Pfarrersknecht hat mich gestern abend gesund angetroffen«, widersprach Kaspar. »Sie könnten wittern, daß ich von dem ganzen Hexenzeug nichts halte. Könnten dich und mich in Verdacht bekommen. Könnten sich gegen uns selbst wenden. Nein, ich muß reiten.«
    Er schnürte den Bund der ledernen Kniehose fest und ging auf Wollstrümpfen zurück in den Schlafraum.
    Anne folgte ihm. Jetzt versuchte sie nicht mehr, ihn aufzuhalten, sondern war ihm behilflich, in die schenkelhohen Stulpenstiefel zu fahren. Der Pfleger stampfte mit den Absätzen auf, fluchte, als Leder und grobe Wolle ihm die Fersen zwängten. Dann nahm er den Stoßdegen vom Wandhaken, legte sich das schärpenartige Gehänge über rechte Schulter und linke Hüfte. Den visierlosen Helm, behielt er noch in der Hand. Er küßte Anne; als er spürte, wie ihre Lippen sich ihm nicht öffnen wollten, sagte er: »Ich werde mich bemühen, daß es für die Dirn glimpflich abgeht.«
    Anne preßte seine Hand und schwieg.
    Kaspar setzte sich den Helm auf, vom Scheitel bis zu den Schultern nun ein einziger Schwung aus Eisen. Als er nach unten ging, klapperte die Schwertscheide auf den hölzernen Stufen. Im Hof des Pflegschlößchens wartete bereits der Stallknecht mit der gesattelten Rottaler Stute. Absichtlich hatte Kaspar Michel das Roß seiner Frau befohlen. Er wollte an diesem Tag nicht auf seinem eigenen schweren Streithengst nach Geisling reiten. Auf diese Weise drückte er seinen Protest aus. Er schwang sich in den Sattel, trabte an, und die gegen ihre Flanke klatschende Degenscheide trieb die Stute rasch zum Galopp.
    Im Pfleghaus kehrte Anne zu ihrem unscheinbar gebundenen Buch zurück.
    ***
    In der Grueberschen Kate, hinter dem türseitigen Fenster, ballte sich ein zitterndes Menschengrüppchen. Links und rechts neben Katharina

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