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Die Hexe soll brennen

Die Hexe soll brennen

Titel: Die Hexe soll brennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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totenblaß Johann und Gertrud Grueber. Dahinter der siebzehnjährige Sohn Balthasar, aufgesetzt trotzig, aber mit schweißnassen Händen und Unruhe in den Eingeweiden. Die übrigen vier Kinder zwischen den Beinen der Großen. Sie begriffen noch nicht, was geschah, nur das Unbehagen der Erwachsenen übertrug sich auf sie. Einigermaßen gefaßt, zwischen den Eltern, allein Katharina, die Zwölfjährige: steile Falte über der Nasenwurzel, der Mund verkniffen, fast kampflustig. Im Hinterkopf Gebete, verballhornte Beschwörungen. Ganz weit entfernt, dennoch irgendwie Schutz gewährend: Jörg, der Ahn.
    Entlang des Wegs, der vom Pfarrhof zur Häuslerkate führte, drückten sich andere Gruppen von Dörflern um ihre Anwesen. Es hatte sich bereits am letzten Abend mit Windeseile im Dorf herumgesprochen, daß die Kapuziner eingetroffen waren, und in dieser Nacht hatte es keine Beschwörungen in der Grueberschen Kate gegeben. Manche der Geislinger hatten sich selbst verflucht, weil sie jemals dort gewesen waren. Man hatte sich flüsternd besprochen von Weib zu Mann, hatte geschworen zu leugnen, daß man jemals Geräuchertes, Eier, Brot zu den Hexenbuhlen getragen hatte. Die Eckhin war in dieser Nacht durchs Dorf gehuscht und hatte gefistelt, die Kathrin werde bald brennen. Kreuze waren verzweifelt geschlagen worden, Gebete hatte man sabbernd hervorgestoßen, Rosenkränze abgeleiert.
    Aber die Angst war nicht geringer geworden. Jetzt, als der Zug vom Pfarrhof herankam, hockte sie in den meisten Fensterhöhlen, stak zwischen schiefen Türbalken, lauerte von den Dachböden. Aus hundert Augen glotzte die Angst auf den schlammigen Weg, den der Zug der Obrigkeit nahm.
    Voran schritt der Dorfpfarrer im vollen Ornat, das Skapulier um den Nacken, in den gefalteten Händen das Kruzifix. Hinter ihm auf seinem Maultier der Kapuzinerpater, die kastanienbraune Kapuze tief über die Brauen gezogen, am Gürtelstrick pendelnd der Rosenkranz – eine Kette aus dunklen, abgegriffenen Kugeln, das Kruzifix selbst vom Geschlinge der blassen Finger des Paters begraben.
    Einen halben Schritt hinter und neben dem Exorzisten Franz, der Frater. Seine Finger zupften und reihten die Male des Rosenkranzes, seine Augen schossen scharfe Blicke auf belagerte Fensterhöhlen. Zuletzt kamen nebeneinander der Pfatterer Pfleger und der Knecht des Pfarrherrn, der eine nach dem raschen Ritt mit schlammbespritzten Hosen, mit verschmutztem Harnisch, den Degen schwer an der Seite, der andere mit einem Weihwasserkessel bewaffnet. Kaspar Michel blickte abwesend, fast verstört. Am Weihwasserkessel hatte die Kälte der Kirche Flüssiges zu krustigem Eis gerinnen lassen.
    Die fünf Männer erreichten unter unwägbarem Märzhimmel die Gruebersche Kate. Hinten, an der Abortgrube entlang, entwischte bucklig die Eckhin, floh an einer angebrochenen Krautmiete vorbei, ließ sich vom gärenden Geruch hinaus ins sichere Feld treiben. Der Dorfpfarrer erblickte sie, seufzte und schaute weg. Ob der Buckel doch an allem schuld sein könnte? Vom Leben mit Mißgunst geschlagen, Ausgleich suchend im Unwägbaren, Geheimnisvollen; auch darin, die Menschen gegeneinander zu treiben, sie aus der Sicherheit zu stoßen, ihr Leben dadurch dem eigenen, verdorbenen, verpatzten anzugleichen. Doch das behielt Felß für sich. Wenn er ehrlich war, dann hätte er lieber auch die Grueberschen verschont, aber nun wurde er von den Mönchen getrieben. Er konnte ihnen nicht mehr entkommen. Also löste er eine Hand vom Kreuz, das er trug, und stieß die Katentür auf. Drinnen wich die Familie wortlos zurück an das andere Ende des ärmlichen Raumes, schlurfend die Erwachsenen, hastig die Kinder, langsamer und trotzig lediglich Katharina und ihr Bruder Balthasar. Das Mädchen stand genau an jener Stelle, an der es stets seine Beschwörungen durchgeführt hatte, und unbewußt, fast unmerklich, begann Katharinas Oberkörper sich zu wiegen.
    Nur der Kapuzinerpater bemerkte es, tat einige schnelle Schritte auf Katharina zu und ergriff ihren Oberarm. Hinter ihm bildeten seine Begleiter einen Halbkreis: dunkel die Gewänder, hartkantig das Kruzifix des Pfarrers, metallisch mittendrin der Harnisch, die Schallern Kaspar Michels.
    »Du bist die Kathrin?« fragte der Pater.
    Er wartete das Nicken des Mädchens gar nicht ab und wandte sich sofort an die Eltern: »Eure Namen?«
    Gertrud Grueber antwortete unterwürfig für sich und ihren Gemahl, nannte auch die Namen der übrigen Kinder. Der Kapuziner wandte sich

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