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Die Hexe soll brennen

Die Hexe soll brennen

Titel: Die Hexe soll brennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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Weinzierl in endlose Gebete. Naturgemäß mußte sie die wenigen, die sie in ihrem kurzen Leben gelernt hatte, wieder und wieder murmeln. Zwischendurch, wenn sie sich an den heimatlichen Hof erinnerte, schrie sie laut nach ihrem Vater und ihrer Jahre zuvor verstorbenen Mutter. Kamen diese Schreie gellend genug, dann konnte es geschehen, daß sogar Katharina aus ihrer Lethargie gerissen wurde. Das Mädchen pflegte dann nach Christines Schultern zu greifen und die andere mit in das eigene unaufhörliche Wiegen hineinzuziehen. Jumpfengranz, Mariengebete und Domkron erklangen dann in einer seltsamen zweistimmigen Monotonie.
    Die Eingekerkerten tauschten während dieser ersten Tage ihrer Gefangenschaft kaum einen vernünftigen Satz. Sie konnten es nicht, denn die Richter, die sie aus Geisling und Pfatter geholt hatten, hatten ihren Willen bereits gebrochen. Die vier Angeketteten waren wie geblendete Tiere, der Willkür der anderen – weiter oben im steinernen Verhau – hilflos und gedankenlos ausgeliefert. Willenlosigkeit und Schwäche – genau das hatten die Peiniger mit dieser Gefangenschaft bezweckt.
    ***
    Die Inquisitoren, die den Prozeß führen sollten, ließen es sich inzwischen in den helleren Räumen der Fronfeste wohl ergehen. Nachdem Scherer und Edlmar ihren Kater von dem Besäufnis im Pfatterer Pflegschloß auskuriert hatten, stöberten sie nun wieder langatmig in Akten, arbeiteten sich erneut durch die Anzeige des Simon Hanndloß, zogen dazu immer wieder den schwergewichtigen Hexenhammer der Dominikaner Jakob Sprenger und Heinrich Institoris zu Rate. Die von den Mönchen ausgetüftelten infamen Konstruktionen entlockten den beiden minder gelehrten kurfürstlichen Beamten manchmal helle Rufe des Entzückens. Gegenseitig machten sie sich auf diverse Möglichkeiten und Fallstricke für die Hexen aufmerksam, und schon bald war klar, daß sie den ursprünglichen Anschuldigungen des Simon Hanndloß noch weitere, eigene würden hinzufügen können.
    Auch Wolf Hainrich Notthafft, Graf und Herr von Wernberg, dazu Vizedom, war inzwischen in Straubing eingetroffen und hatte, umsorgt von Bediensteten, in seinem Stadthof Quartier genommen. Die Akten und juristischen Folianten mied dieser Edelmann allerdings wie den Teufel. Mit einer Anordnung an die Herren von Scherer und Edlmar, daß der Prozeß so bald wie möglich zu beginnen habe, hatte Notthafft es vorerst bewenden lassen. Jetzt wartete er, bis alles seine Ordnung gefunden haben würde, ritt zur Jagd auf Niederwild in die Donaumarschen und vergnügte sich an den Abenden beim Wein und mit den Hübschlerinnen {*} , von denen die kurfürstliche Stadt eine reiche Auswahl zu bieten hatte.
    Zusammen mit Scherer und Edlmar, die er betrunken hatte zu Bett bringen müssen, war auch Kaspar Michel, der Pfleger von Pfatter, in Straubing eingetroffen. Er logierte in einem bescheideneren Gasthof und in der Lade auf seinem Zimmer lag eine Abschrift des Protokolls, das er vor einem Monat selbst angefertigt hatte.
    Doch während Michel, stumm und verstört, auf den Prozeßbeginn wartete, nahm er das Papier nicht einmal zur Hand. Er kannte es längst auswendig; die einzelnen Sätze hatten sich wie Feuer in sein Gehirn gebrannt. Oft lief der Pfatterer Pfleger wie gehetzt allein durch die Gassen. Überzeugt, nur seine Pflicht zu tun, konnte er dennoch auch bei Nacht kaum noch Ruhe finden.
    Traumlos meist schlief in jenen Nächten dagegen der Kanoniker Georg Straßmayr, geachtetes Mitglied des Straubinger Jesuitenkollegiats. Der Wernberger hatte, damit er selbst um so freizügiger seiner Jagdleidenschaft frönen konnte, den vollblütigen Fünfzigjährigen schon jetzt als Inquisitor der Alleinseligmachenden Katholischen Kirche angefordert. Für Straßmayr, dem damit die faktische Leitung des bevorstehenden Prozesses oblag, war dies eine Fügung, die seinem zwielichtigen Charakter durchaus entgegenkam.
    Sein behäbiger Name täuschte, und ebenso täuschte sein Äußeres: Der von Donauwallern, Wildpret und Krebsen aufgeschwemmte Leib, das großflächige Gesicht, die fleischigen Hände, welche so bedächtig segnen konnten – das alles verbarg etwas Tieferes, das sich allein in Straßmayrs Augen manchmal auflodernd äußerte. Diese Augen lagen seltsam tief unter breiter Stirn, waren zu klein für dieses barock angelegte Antlitz, und manchmal begann das linke Lid unkontrolliert zu zucken.
    Dieses freilich hatten nur wenige Menschen jemals gesehen. Es widerfuhr dem Jesuiten stets nur

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