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Die Hexe und der Herzog

Die Hexe und der Herzog

Titel: Die Hexe und der Herzog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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unversehrt?
    Plötzlich wusste Johannes, was er tun musste, obwohl Furcht ihm den Magen zusammenkrampfte. Er stieg wieder hinunter, schloss von außen den Gasthof so sorgfältig ab, wie er es Els und Bibiana versprochen hatte, und ging hinüber. Ein kurzer Weg, nur quer über die Gasse, für ihn jedoch eine fast nicht zu bewältigende Überwindung. Vielleicht war es das Schwierigste, was Johannes Merwais bisher in seinem Leben auf sich genommen hatte, denn jetzt galt es, all das hinter sich zu lassen, was ihn bisher durchaus erfolgreich geleitet hatte: Vorsicht. Besonnenheit. Sich immer und überall im Hintergrund zu halten, um schnell und erfolgreich weiterzukommen.
    Der »Schwarze Adler« war gut besucht, das hörte man schon von draußen. Aus den geöffneten Fenstern drangen Grölen und Lachen. Am liebsten hätte Merwais noch auf der Schwelle kehrtgemacht, doch der Gedanke an Lena, die nun die feuchten Mauern des Verlieses umschlossen, trieb ihn weiter.
    Er öffnete die Tür, trat ein. Niemand schien ihn zu bemerken, so laut und bierselig ging es zu. Er machte ein paar unentschlossene Schritte, da trat plötzlich eine stämmige Frau auf ihn zu.
    »Nur nicht so schüchtern, junger Herr!«, sagte sie nach einem raschen Blick auf sein gutes Wams, das er sich eher zufällig übergestreift hatte. »Dort drüben wäre noch ein hübsches Plätzchen für Euch frei.« Ihr Lächeln wurde breiter, als er sich nicht rührte. Sie schien seine Verlegenheit zu spüren. »Soll ich Euch einen Krug von meinem besten Roten kommen lassen? Oder gelüstet es Euch eher nach schlichteren Genüssen?«
    Weder der Anblick ihres drall gefüllten Mieders noch der der voll besetzten Bank, auf die ihr schmuddeliger Finger wies, erschienen ihm sonderlich einladend.
    »Ihr seid hier die Wirtin?«
    »Allerdings.« Er sah eine Spur von Argwohn in Purgls Geyers Blick aufflackern. »Wozu wollt Ihr das wissen?«
    »Weil ich etwas Wichtiges zu sagen habe«, erwiderte Johannes. »Euch. Und allen anderen hier.«
    Sie formte Daumen und Zeigefinger ihrer Rechten zu einem Ring und blies. Ein gellender Pfiff ertönte, der alle zusammenschrecken ließ. Lachen und Grölen erstarben auf einen Schlag. Eine fast schon unheimliche Stille breitete sich aus.
    »Redet!«, sagte sie. »Mal sehen, ob sie Euch zuhören.«
    Die Zunge schien Merwais am Gaumen wie angeklebt, und für einen Moment musste er regelrecht nach Luft schnappen, so aufgeregt war er. Nicht anders war es ihm schon in der Lateinschule ergangen, wenn einer der Patres ihn aufgerufen und nach vorn an die Tafel zitiert hatte. Zum Glück war ihm damals meist im letzten Moment noch das Richtige eingefallen. Mehr unsicher als siegesgewiss klammerte er sich auch jetzt an diese vage Hoffnung.
    »Ihr zecht hier ausgelassen«, begann er – und erschrak. War das wirklich seine Stimme, so zittrig und hoch? Warum war er allein hergekommen? Etwas Unterstützung an seiner Seite hätte jetzt so gut getan! »Doch während ihr es euch gut gehen lasst, darben andere aus eurer Mitte im Loch …«
    »Gottlob! Denn nichts anderes haben sie verdient«, unterbrach ihn ein Mann, bärenstark und derb in Aussehen und Sprache. »Wir alle hier sind ehrliche Leute, die sich ihr abendliches Bier redlich verdient haben – und kein verdammtes Hexenvolk, das der Satan Nacht für Nacht reitet!«
    Gebrüll und Klatschen ertönten. Die Leute schnitten Grimassen, einige vollführen obszöne Gesten, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließen.
    Es kostete den Juristen Mühe, die Meute mit energischen Blicken wieder halbwegs ruhig zu bekommen, schließlich aber gelang es ihm. Sie waren neugierig geworden, wollten offenbar mehr von ihm hören.
    »Es sind eure Nachbarinnen, die gestern noch friedlich neben und mit euch gelebt haben«, nahm er seinen Faden wieder auf. »Großmütter, Tanten, Nichten, Ehefrauen, Töchter, nicht anders als ihr auch. Sie haben euch mit Heilmittel versorgt, wenn ihr euch den Medicus nicht leisten konntet. Sie haben geholfen, eure Kinder gesund auf die Welt zu bringen, und haben eure Toten liebevoll zur letzten Reise hergerichtet …«
    Jetzt schauten ihn alle an.
    Er schien einen Nerv getroffen zu haben, etwas, was einige sich vielleicht bereits insgeheim gedacht, angesichts der öffentlichen Stimmung jedoch nicht mehr laut zu äußern gewagt hatten. Es war keine große, starke Welle von Zustimmung, die er da spürte, allenfalls eine zaghafte Bestätigung, die ihm jedoch genug Mut machte, um

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