Die Hexe und der Herzog
weiterzufahren.
»Sie haben euch mit Speis und Trank versorgt, euch bekocht und zu eurem Vergnügen beigetragen, wenn ihr eure Feste bei ihnen gefeiert habt – und ihr seid gern zu ihnen gegangen, seit vielen Jahren schon. Das soll plötzlich alles nicht mehr wahr sein? Und diese eure Nachbarinnen, Freundinnen und Wohltäterinnen sollen auf einmal als verderbte Geschöpfe Luzifers bestraft werden?«
Er sprach nun lauter und um einiges deutlicher und wurde dabei innerlich immer ruhiger.
»Man muss tapfer sein, um gegen den Strom zu schwimmen, aber ist gerade das nicht manchmal notwendig, wenn die Gerechtigkeit siegen soll? Geht in euch, das bitte ich euch alle hier von ganzem Herzen, und bemüht eure Erinnerung! Denkt an jene eingekerkerten Frauen, die man solch schwerer Vergehen beschuldigt. Seid ihr alle da womöglich nicht viel zu weit gegangen, verführt von Neid und Habsucht, von jenen hässlichen, kleinlichen Gefühlen, die manchmal in jedem von uns keimen und die stark, ja sogar übermächtig werden können, wenn wir nicht aufpassen …«
Einige Köpfe waren bereits schamhaft gesenkt. Purgl Geyer drückte sich an die Wand, als bräuchte sie dringend Halt; ihr beschränkter Bruder öffnete und schloss den Mund wie ein Karpfen an der Angel.
Es schien zu funktionieren! Für einen Moment war Johannes so erleichtert, dass er beinahe geweint hätte. Wenn er jetzt noch die richtigen Schlussworte fand, er, der niemals zuvor zum Redner getaugt hatte, dann …
»Was soll diese gottlose Narretei?«, ertönte eine eisige Stimme.
Alle Köpfe schossen zu Kramer herum, der plötzlich wie eine Erscheinung in der Tür stand. Sein Antlitz war so weiß wie seine Kutte; an der Schläfe pochte eine dicke blaue Ader.
Johannes spürte, wie seine Knie weich wurden. Wie viel hatte der Inquisitor von seiner Rede mitbekommen? Genug, um ihn als offiziellen Verteidiger zu verwerfen oder, schlimmer noch, auf der Stelle wegen Aufsässigkeit und Gotteslästerung selbst ins Loch werfen zu lassen?
Da ergriff Purgl das Wort: »Wollt Ihr, dass Dietz diesem Laffen das Maul stopft, Pater?«, fragte sie. »Ein Wort von Euch genügt, denn von unseren Gästen will ohnehin keiner noch länger dieses stinkende Zeug hören, das sich daraus ergießt.«
Kramer musterte Johannes noch einmal streng, dann fasste er sich mit der Hand an die Stirn. »Ich brauche frisches Wasser und etwas zu essen«, sagte er und schien auf einmal leicht zu taumeln. »Und Ruhe. Vor allem Ruhe. Seid Ihr in der Lage, dafür zu sorgen, Wirtin?«
Die atemlose Spannung von eben war zerrissen; alle hatten wieder zu reden begonnen. Zwar lugten noch immer einige verstohlen zu Johannes, schüttelten den Kopf oder fingen an, mit ihren Nachbarn zu argumentieren, doch so richtig scherte sich inzwischen keiner mehr um den Juristen.
Dieser konnte nur hoffen, dass die Beine ihn tragen würden, weil ihm die Knie noch immer weich wie Mus erschienen. Er ging langsam zum Ausgang, zog die Tür auf und machte, dass er davonkam.
Seine Hand zitterte, als er schräg gegenüber wieder den »Goldenen Engel« aufschloss. Er musste den Schlüssel gleich mehrmals ansetzen, bis der Bart endlich steckte und sich im Schloss drehen ließ.
Drinnen angekommen, verriegelte er sorgfältig die Wirtshaustür. Die Furcht verließ ihn nicht, als er sich im Dunkeln langsam auf der Treppe nach oben tastete, ohne ein Licht anzuzünden. Was, wenn der Pöbel ihm nun nachstellte, um sich an ihm schadlos zu halten?
Er öffnete die erstbeste Tür und ließ sich ins nächste Bett fallen. Es war ein Stück zu kurz, wie er feststellte, nachdem er sich wieder halbwegs beruhigt hatte und die Beine ausstrecken wollte. Wahrscheinlich das Lager des kleinen Sebi. Aber er war zu müde und ausgelaugt, um sich nach einer passenderen Ruhestatt umzusehen.
Das Fenster zum Garten hin stand angelehnt, und nachdem Merwais zunächst noch in die Nacht gelauscht hatte, ob er mit Verfolgern rechnen musste, fiel er in einen erschöpften, traumlosen Schlaf.
Irgendwann erwachte er. Etwas Pelziges lag auf seiner Brust, das ihm das Atmen schwer machte. Es schien zu vibrieren und gab tiefe, warme Töne von sich. Als Merwais sich bewegte, spürte er, wie plötzlich etwas sehr Scharfes seine Haut ritzte.
Mit einem erschrockenen Schrei schoss er hoch – um schon im nächsten Augenblick in lautes, erleichtertes Gelächter auszubrechen. Es tat so unendlich gut, sich selbst auszulachen. Denn bei dem nächtlichen Eindringling handelte es
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