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Die Hexe und der Herzog

Die Hexe und der Herzog

Titel: Die Hexe und der Herzog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Laufen über die Schulter, aber die feindlichen Kugeln sind verschwunden. Stattdessen hört sie lautes Poltern, das sich zu ohrenbetäubendem Donnern steigert.
    Geht hinter ihr die Welt unter?
    Zweige fliegen um ihren Kopf und streifen unsanft ihre Wangen, denn sie ist mit einem Mal in einem undurchdringlichen Wald, der immer dichter und dunkler wird, je weiter sie hineingelangt. Sie spürt Moos unter ihren nackten Sohlen, knotiges Wurzelwerk, Tannennadeln. Es riecht nach Harz, da ist sie sich ganz sicher. Nach verbranntem Harz.
    Sie strengt sich an, die Lider zu öffnen, um erkennen zu können, woher diese neuerliche Gefahr kommt, doch sie sind wie zugenäht. Endlich spürt sie, wie eine fremde Macht unsanft ihr rechtes Auge aufreißt. Der Harzgeruch wird stärker. Sie nimmt einen grellen Lichtstrahl wahr, der blendet und schmerzt, als ob jemand ihr …
    »Meinst du nicht, es ist allmählich genug mit deinem Herumgefläze?«
    Lenas Blick fiel auf den Hofzwerg, der mit einem glimmenden Zapfen vor ihrer Nase hin und her wedelte. Hinter den blanken Fensterscheiben war es inzwischen dunkel geworden, doch auf einem länglichen Tischchen neben ihr brannten in einem Kandelaber Kerzen.
    »Wart Ihr es, der sich an meinen Augen zu schaffen gemacht hat? Ihr habt mich zu Tode erschreckt.« Es fiel ihr schwer, in die Wirklichkeit zurückzukehren, so stark wirkten die Traumbilder in ihr nach.
    »Es wird bald Nacht, und du liegst noch immer hier herum wie ein Schock fauler Eier. Hast du denn keine Arbeit, an die du dich wieder machen musst?«
    »Der Medicus hat gesagt …«
    »Medicus van Halen plaudert viel, wenn der Tag lang ist.« Jedes Wort verriet tiefe Abneigung. »Zum Glück ist es bei Licht betrachtet nicht sehr viel, was er hier bei Hof zu sagen hat, wenn du verstehst, was ich damit andeuten will. Da gibt es ganz andere Persönlichkeiten, deren Meinung dem Herzog ungleich mehr bedeutet.« Der Hofzwerg reckte seinen faltigen Hals.
    Es gelang Lena, sich aufzusetzen. Vorsichtig bewegte sie den Kopf nach rechts, dann nach links. Das Dröhnen hatte sich in ein schwaches Pochen verwandelt, das von sehr weit her zu kommen schien. Ihre Hand fuhr zur Braue. Die Wunde hatte sich geschlossen. Der fette Medicus hatte recht behalten.
    »Wenn Ihr tatsächlich einen so bedeutenden Rang innehabt«, sagte sie, »dann könnt Ihr mich ja sicherlich zum Herzog bringen.«
    In die blanken Eidechsenaugen kam ein seltsamer Ausdruck. Sie hatte ihn offenbar überrascht. Würde er tun, worum sie ihn gebeten hatte?
    »Wo glaubst du eigentlich, dass du bist? Auf dem Jahrmarkt? Oder in einer billigen Kaschemme mit deinesgleichen?«
    »In der Hofburg, soweit ich weiß.« Es gelang ihr, mit fester Stimme zu antworten. »Genau da, wo ich hinwollte.«
    »Soll das etwa heißen, du hast es absichtlich getan? Dann musst du entweder von Sinnen sein oder ein ganz und gar durchtriebenes Weibsstück!« Mittlerweile schien sein kleiner Körper von Kopf bis Fuß vor Empörung zu vibrieren. »Und ich wüsste kaum zu entscheiden, was von beidem schlimmer wäre.«
    So jedenfalls kam sie nicht weiter.
    Vorsichtig setzte Lena einen Fuß auf den Boden, dann den zweiten. Die Beine trugen sie, und ohne fremde Hilfe einigermaßen gerade stehen konnte sie inzwischen auch wieder. Els würde sich längst fragen, wo sie abgeblieben war, und Bibiana wieder ihre »Sorgensuppe« aufsetzen wie immer, wenn sie sich ablenken wollte.
    Sie durfte keine weitere Zeit verlieren.
    »Ihr wollt mich also nicht zum Herzog bringen?« Sie hatte sich erneut auf das Ruhelager gesetzt, aber nur, um in ihre abgelaufenen Stiefel zu schlüpfen, die irgendjemand offenbar sorgfältig unter das Bett gestellt hatte. Auch Schulterund Kopftuch lagen bereit, beide akkurat zusammengefaltet. »Das ist Euer letztes Wort?«
    »Mach lieber, dass du endlich verschwindest!«, keifte er. »Oder soll ich erst die Wachen rufen lassen, damit sie dir dabei behilflich sind?«
    Er meinte es ernst, das verriet ihr seine säuerliche Miene. Humor war offensichtlich nicht die Stärke des Hofzwergs, obwohl er ein buntes Narrengewand trug, an dem Schellen klimperten.
    »Wo ist eigentlich meine Freundin?«, fragte Lena. Das Bücken hatte sie erneut schwindelig gemacht, doch gelang es ihr, die Schwäche vor ihm zu verbergen. »Die junge blonde Frau, die mit mir gekommen ist. Ist sie noch hier?«
    Jetzt zuckte ein verschlagenes Grinsen um seinen Mund, das rasch wieder erlosch.
    »Das musst du besser andere fragen«, sagte er.

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