Die Hexe und der Herzog
den Barbaras Mann ihm geschnitzt hatte, und schaukelte vor und zurück. Niemand unterbrach ihn dabei, weil jeder, der ihn kannte, genau wusste, dass der Junge sonst nur von Neuem mit seinem endlosen Ritual beginnen würde. Ab und zu, nach einem Rhythmus, der nur ihm gehörte, fand ein Bissen den Weg in seinen Mund, dann aber setzte die gleichförmige Bewegung abermals ein.
Heinrich Kramer, der seine Mahlzeit unter all den Gästen einnahm, konnte den Blick kaum von Sebi lösen. Mit gerunzelter Stirn verfolgte er, wie der Junge jetzt mit seinem Becher fünfmal auf den Tisch tippte, bis er endlich einen Schluck aus ihm nahm. Irgendwann sank der Kopf des Kleinen auf den Tisch.
»Er ist wohl schon sehr müde«, sagte der Dominikaner, als Els seinen Tisch abräumte und als Abschluss Käse auf einem Holzbrett servierte. Es schien dem Mönch gemundet zu haben, auch wenn sein Gesicht so blass war, dass es von innen zu leuchten schien. Der Teller wie blank geleckt; nicht ein Bissen zurückgeblieben. »Und ganz gesund ist er wohl auch nicht, der Junge?«
»Sebi könnte gesünder nicht sein«, erwiderte Els mit fester Stimme. »Er ist nur anders. Das ist alles.«
Ein wunder Punkt, wie Kramer sofort erkannte. Und er wusste sehr gut, wie man wunde Punkte nutzen konnte.
»So bereitet er Euch und Eurem Mann gewiss große Sorgen?«
»Ich bin Witwe«, sagte Els. »Habe ich Euch das noch nicht gesagt? Ich hab schon das Kind meiner toten Schwester großgezogen und jetzt ist mein eigener Sohn an der Reihe.«
»Warum bringt Ihr ihn nicht endlich ins Bett?«, fragte Kramer.
Sie schwitzte, während sie ihm Rede und Antwort zu leisten hatte, was ihn erregte und im gleichen Maß abstieß wie all dieses Fleischliche, das stets und immer seine teuflischen Krakenarme nach der reinen, ewigen Seele ausstrecken wollte.
»Das schafft einzig und allein Bibiana«, sagte Els mit einem traurigen Lächeln. »Und die hat gerade in der Küche alle Hände voll zu tun.«
»Und das Mädchen, Eure Nichte?«, wollte er weiter wissen. »Ich hab sie heute noch gar nicht gesehen.«
»Kocht bei der Fürstenhochzeit.« Die Antwort kam fast barsch.
Els hatte sich auf dem Absatz umgedreht und war schon am nächsten Tisch, wo vor einiger Zeit ein stattlicher Mann mit grau melierten Locken Platz genommen hatte. Die Begrüßung zwischen den beiden fiel so herzlich aus, dass Kramer sofort stutzig wurde. Blicke und Gesten, die die Wirtin und der Unbekannte tauschten, verrieten uneingeschränkte Vertrautheit. Witwe sei sie, hatte sie gerade gesagt. Dieser gut gekleidete Mann aber, der mit sichtlichem Genuss dem Wein zusprach, war eindeutig mehr als ein Bekannter.
»Kein besonders guter Tag für einen Besuch«, sagte Els zu Antonio de Caballis. Irgendwie war ihr unbehaglich, weil der Pater ständig zu ihnen herüberschaute. »Du siehst doch, was hier heute los ist!«
»Irgendwann werden sie alle gehen.« De Caballis lächelte. »Ich aber bleibe. Und in der Zwischenzeit genieße ich deinen Anblick. Du bist ganz besonders anziehend, bella mora , wenn du große Humpen schwungvoll auf den Tisch knallst.«
Die schwarze Els zupfte ihn lachend am Ärmel. Er griff nach ihrer Hand, packte sie und drückte einen übertriebenen Kuss darauf. Sie entwand sich ihm, hob den Finger, drohte spielerisch. Man brauchte nicht viel an Vorstellungskraft, um sich auszumalen, wie dieser scheinbare Streit unter Liebenden später ausgehen würde.
Ein pochender Schmerz schoss in Kramers linke Schläfe, und er spürte, wie seine Zunge plötzlich ganz schwer wurde. Leider wusste er nur allzu gut, welch weitere Symptome sich alsbald einstellen würden: gerötete Augen, Lichtempfindlichkeit, Schwindel, Übelkeit.
Er erhob sich ruckartig; der Stuhl ging hinter ihm krachend zu Boden. Jetzt gab es keinen in der Gaststube, der ihn nicht angestarrt hätte. Mit steifen Beinen versuchte er zur rettenden Treppe zu gelangen, die ihn hinauftragen und von der unerträglichen Gesellschaft der anderen befreien würde.
»Pater Institoris!« Els war ihm gefolgt. »Ihr habt Euren Käse vergessen. Wartet – ich bringe ihn Euch gleich hinauf!«
Er war bereits zu schwach, um sie abzuschütteln, musste erdulden, dass sie ihm mit dem Käsebrett bis zur Zimmertür folgte.
»Geht!« Seine Stimme war auf einmal heiser. »Ich muss jetzt allein sein.«
»Es ist der Kopf, nicht wahr?« Sie klang besorgt. »Meine Schwester Johanna hatte auch dieses Leiden. Die gleiche Blässe und auch die dunklen Augenschatten,
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