Die Hexe und der Herzog
Geruch hing im Raum, den selbst die laue Frühlingsluft nicht vertreiben konnte.
»Das sind ja lauter Nachtigallen!«, entfuhr es Lena. »Aber wieso sind sie denn alle eingesperrt?«
»Weil sie uns jetzt ihr wunderschönes Ständchen bringen werden.« Der Herzog wirkte konsterniert, weil keiner der Anwesenden in Jubel ausgebrochen war. Stattdessen standen alle betreten herum, niemand sagte etwas, und jeder achtete darauf, möglichst flach zu atmen. »Niklas – nimmt deine Laute und bring sie zum Singen!«
Der Spielmann tat wie verlangt und schlug ein paar leise, zarte Akkorde an. Doch alles blieb still. Aus keinem der Käfige drang auch nur der geringste Laut.
»Ich würde auch nicht singen, wenn du mich so eingesperrt hättest.« Die helle Stimme der Herzogin durchschnitt die angespannte Stille. »Meinen Schnabel würde ich halten – und für immer schweigen. Was hast du dir dabei nur gedacht, Sigmund? Die Königin der Nacht darf man doch nicht in ein so hässliches Gefängnis sperren!«
Sie lief zum nächstbesten Käfig und entriegelte ihn. Die kleine Nachtigall duckte sich gegen die Stäbe. Erst als Katharinas Hand und der rundliche Arm aus ihrem Blickfeld verschwunden war, wagte sie hinauszufliegen. Ihr Instinkt führte sie auf die richtige Spur, zum einzigen offenen Fenster, durch das sie rasch in den blauen Himmel entschwand.
»Genauso wirst du es jetzt auch mit allen anderen halten, sonst wechsle ich kein einziges Wort mehr mit dir!« In ihrer Erregung war die junge Frau wieder bei der vertrauten Anrede gelandet, allein dem intimen Kontakt der Eheleute vorbehalten.
Sigmund starrte sie an wie eine Erscheinung.
»Ich wollte Euch lediglich ein besonderes Vergnügen bereiten«, brachte er hervor. »Weil Ihr Tiere doch so sehr liebt. Deshalb hab ich meinen Jägern Anordnung gegeben, diese Vögel mit Netzen einzufangen. Über Wochen waren sie damit beschäftigt. Wenn Ihr nur wüsstet, welch unendliche Mühe es ihnen bereitet hat …«
»Die hättet Ihr Euch gänzlich ersparen können!« Kurz entschlossen hatte Katharina auch den zweiten Käfig entriegelt und war bereits beim dritten angelangt. »Komm schon, Lena, hilf mir!«, verlangte sie. »Wenn sich hier schon sonst niemand auf seine Vernunft besinnt, dann doch wenigstens du. Wir wollen all diesen armen Nachtigallen auf der Stelle die Freiheit schenken.«
»Haltet ein, Euer Hoheit, ich bitte Euch herzlich!« Der Hofmeister hatte sich behände vor ihr aufgebaut. »Überlegt doch einmal: Das muss, wenn überhaupt, maßvoll und langsam geschehen, sonst erleben wir hier binnen Kurzem ein Fiasko aus Federn und Schnäbeln.«
Katharina hielt inne, schaute zu ihm empor, dann presste sie plötzlich die Hand vor den Mund und stürzte wortlos hinaus.
Niemand im Saal rührte sich, nur Lena besaß die Geistesgegenwart, ihr sofort nachzulaufen. Sie fand sie, ein paar Zimmer weiter, tief über eine irdene Schüssel gebeugt. Die Herzogin keuchte, war leichenblass.
»Sterbenselend ist mir zumute«, flüsterte sie. »Schon seit Tagen geht das so. Sonst ist es morgens immer am Schlimmsten, aber es vergeht zum Glück meistens wieder, sobald ich ein Stück trockenes Brot im Magen habe. Aber jetzt all diese armen eingesperrten Vögel und vor allem dieser unerträgliche Gestank... Was hat er sich nur dabei gedacht!«
Der nächste Schwall.
Dann tupfte sie sich den Mund mit einem Tuch sauber. Schwer atmend lehnte sie sich an Lena.
»Wenigstens du stehst mir bei«, flüsterte sie. »Meinst du denn, ich bin schwer krank? So krank womöglich, dass ich gar nicht mehr lange zu leben habe?«
Lena schüttelte den Kopf. Für einen Augenblick war es, als höbe sich das schwere Tuch, das die Vergangenheit vor ihr verbarg. Els hatte sich auch immer morgens übergeben müssen, damals, in jenen lang zurückliegenden Tagen, als sie mit Sebi schwanger gewesen war …
»Ihr seid alles andere als krank, Euer Hoheit«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich glaube viel eher, Ihr erwartet ein Kind. Das ist es, was Euch diese Übelkeit verursacht. Vielen Frauen geht es so. Doch soviel ich weiß, legt sich diese Übelkeit nach einer Weile wieder. Ihr müsst nur ein wenig Geduld haben.«
»Ein Kind?«, fragte die Herzogin staunend, als könne sie es selbst noch gar nicht fassen. »Aber das hieße ja …«
»Ein Kind?«, wiederholte nun auch Alma von Spiess, die hinter ihnen das Zimmer betreten und alles mitgehört hatte. »Wer soll hier ein Kind erwarten? Etwa …«
Das Strahlen, das
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